Bayreuther, Rainer. Der digitale Gott. Glauben unter technologischen Bedingungen. München: Claudius Verlag 2023. 271 S. Klappbroschur 26,00 €. ISBN: 978-3-532-62877-5
Der Autor hat Musikwissenschaft, Philosophie und evangelische Theologie studiert und legt hier einen Essay vor, also eine möglichst geistreiche Abhandlung (oft auch eine persönliche Auseinandersetzung) über eine Frage des geistigen Lebens. „Dieser Essay behauptet, Gott spielt sein Stück, das ihn selber zum Inhalt hat“. (S.7)
Bayreuther nimmt vor allem die christliche Religion in den Blick und behauptet, "dass das Medium selber die (frohe) Botschaft ist" (S. 14). Aber damit stellt die Weiche von vornherein auf das tote Gleis der Bibelkritik. Dabei drückt er sich oft sehr verschwurbelt aus: „ Wir nehmen die intrinsische Frömmigkeit des medialen Flows selber in den Blick. Wir versuchen, die implizite Göttlichkeit von informationstechnischen Prozeduren selber zu erfassen. Wir suchen die heiligen Zeit-Punkte der Netzwerklandschaften direkt auf.“ (S. 15) Damit schafft er sich die Freiheit, biblische Aussagen, die nicht in seine Theologie passen, auszuhalten und trotzdem irgendwie fromm zu wirken. Am Schluss bleibt "eine behutsame digitaltechnische Artikulierung von Sharingvorgängen ... So offenbart sich das Walten der göttlichen Liebe und breitet sich zugleich aus" (S. 254).
Der Schreibstil des Autors besteht in überlangen Sätzen und verlangt die Bekanntschaft des Lesers mit allen möglichen digitalen und mathematischen Regeln, zum Beispiel das "Theorem der universellen Turingmaschine", den "Unvollständigkeitssatz von Gödel," das "Samplingtheorem von Shannon" usw.
Beim Lesen kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Autor mit Esoterik und Theologie spielt. „Welle um Welle nähert sich Gott und zerfließt mit dem letzten Kräuseln des Wassers im Unmerklichen.“ (S.8) Aber dann: „Das Geheimnis der Gegenwart Gottes im Menschen besteht … darin, in den technischen Operationen und Prozeduren zu erscheinen, in die sich der Mensch nach und nach involviert, was … aber schon immer über den Menschen hinausragt.“ (S. 69) Bei allem wird auch seine bibelkritische Theologie sichtbar, zum Beispiel wenn er von biblischen Schöpfungsmythen schreibt und sich dann aus der griechischen Mythologie den Prometheus als Vorbild nimmt. „Der nimmer endende Fackellauf des Prometheus heißt vielmehr. Das Göttliche wird aus dem Titanischen wiedergeboren, in dem die Technik und darin eingeschlossen der Mensch den Weg des Fortschritts weitergeht.“ (S. 69) „Den digitalen Gott erkennen ist Approximativ dasselbe wie Gott spielen. Damit geht die klassische Theologie zu Ende und die neue digitale Theologie wird unlösbar mit Technologie verwoben sein. Sie sammelt nicht mehr passives Wissen über Gott, sondern loggt sich ein in die göttliche creatio continua, um aktiv an ihr teilzuhaben.“ (S. 101)
Den biblischen Adam ersetzt Bayreuther also durch Prometheus: „Die Entwicklung des Erbguts der menschlichen Spezies im Lauf ihrer Geschichte seit Urprometheus verhält sich wie ein zellulärer Automat.“ (S.123) Im Schlusskapitel digitalisiert der Autor die religiösen Praktiken. Das beginnt bei der Kirchenmitgliedschaft, der Schriftlesung, dem Glauben, dem Hoffen, dem Segnen und dem Beten bis zur Kirchenmusik. Alles zusammen: eine ausgefallene, schwer fassbare, bibelkritisch-technisch-fromme Fiktion.
Dass Bayreuther als Theologe doch nicht so bibelfest ist, wie er glaubt, wird in diesem Satz deutlich: „In den Evangelien ist nicht die zarteste Andeutung zu finden, dass Jesus und seine Jünger gesungen hatten.“ (S. 231) Nun ja, es finden sich gleich zwei Belegstellen, dass sie es doch taten (Mt 26,30; Mk 14,26).
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