imagesDas Paradoxon

Es ist merkwürdig: Jeder Mensch glaubt, dass andere Menschen böse sind und er sich vor ihnen schützen muss. Er hat ein Schloss an seiner Haustür und schließt jeden Tag sorgfältig ab. Ebenso verschließt er sein Auto, wenn er es abstellt, und sichert sein Fahrrad mit einem dicken Stahlbügel. Und weil er sich vor dem Angriff anderer Menschen fürchtet, kauft er sich Pfefferspray für den Notfall.

Weil keiner dem anderen wirklich traut, gibt es Ausweise, Fahrscheine und schriftliche Verträge, Polizei, Richter, Rechtsanwälte und Gerichte, Selbstverteidigungskurse und Waffen, Rüstungsfirmen und Armeen.

Sich selbst aber hält der Mensch gewöhnlich für gut.

Hans-Ludwig Kröber, einer der bekanntesten Gerichtspsychater, sagte in einem Interview[ 1 ]ZEIT ONLINE am 20.10. 2006 (14.11.2016): „Für mich ist das Böse eine Wahrnehmungskategorie, eine Form des unmittelbaren Erlebens. So wie wir spontan etwas als schön oder eklig empfinden, so erleben wir auch ein bestimmtes Handeln – ob wir es wollen oder nicht – als böse. Im Angesicht des Bösen sind wir fassungslos, empört, die Welt ist aus den Fugen – weil jemand sie bewusst zerstört … Es gibt tatsächlich auch böse Menschen. Die sind zwar erstaunlich selten, aber es gibt doch Einzelne, die so viel Hass und Vernichtungswillen aufgebaut haben, dass sie sich immer wieder Situationen suchen, in denen sie dies ausleben können. Selbst im späteren Erzählen töten sie ihr Opfer noch einmal genüsslich.“

Was ist eigentlich das Böse?

Das Böse ist eine schreckliche Realität in uns Menschen. Es zeigt seine Fratze oft da, wo man es am wenigsten vermutet. Wenn liebevolle Familienväter auf einmal Geschäfte plündern, weil die Polizei gerade streikt (wie in Kanada geschehen), oder wenn ein ruhiger und normaler Schulkamerad auf einmal die Pistole seines Vaters nimmt, um seine Mitschüler und Lehrer zu erschießen.

Das Böse ist aber kein Ding wie ein Felsen oder eine Kraft wie Elektrizität. Und trotzdem ist es eine Macht. Man kann auch nicht ein Kilo Böses besitzen! Das Böse ist eher etwas, das geschieht wie Laufen.

In gewisser Hinsicht könnte man sagen: Das Böse hat kein eigenes Dasein; es ist in Wirklichkeit ein Mangel an Gutem. Es ist so wie ein Loch. Jeder weiß, es gibt Löcher, aber sie existieren immer nur in etwas Anderem. Wir nennen das Fehlen von Erde an einer bestimmten Stelle ein Loch, aber das Loch kann nicht losgelöst von der es umgebenden Erde betrachtet werden.

Ein anderes Bild: Wenn ich jemand fragen würde, ob es Kälte gibt, würde er wahrscheinlich mit Ja antworten. Doch stimmt das nicht. Physikalisch gesehen existiert Kälte nicht als etwas Eigenständiges. Kälte ist das Fehlen von Wärme. Kälte ist, wenn sich nichts mehr bewegt, und das tritt ein bei – 273,15 °C.

Ähnlich existiert auch Dunkelheit streng genommen nicht. Dunkelheit ist die völlige Abwesenheit von Licht. So ist vermutlich auch das Böse als das Fehlen von Gutem, oder besser gesagt, als Fehlen der Anwesenheit Gottes zu sehen.

Der katholische Theologe Eckhard Bieger versucht auf philosophische Weise zum Kern des Bösen vorzudringen indem er schreibt:[ 2 ]http://www.kath.de/lexikon/philosophie_theologie/boese_darstellung.php (14.11. 2016) „Das Böse mindert und vernichtet Leben.“ Er meint damit alles, was wir einem anderen antun, wenn wir ihn betrügen oder Schaden zufügen. Denn das mindert seine Existenz oder löscht sie sogar aus. „Das Böse führt am Ende ins Nichts, erst einmal des anderen, dem der Mensch Böses zufügt, dann aber auch für den Bösen selbst. Er verliert den Sinn seines Lebens.“

Kann man wählen zwischen Gut und Böse?

Bieger meint: Nein. Es stimme zwar, dass man sich entscheiden muss, aber nach seiner Definition des Bösen wählte man, wenn man sich für das Böse entscheidet, nicht ein anderes Leben, sondern weniger Leben. Das trifft natürlich erst einmal einen anderen Menschen. Aber von daher, meint Bieger, ergebe sich die Notwenigkeit, im Gegensatz zu dem Bösen das Gute zu tun.

In der Bibel bezeichnet das Böse eine innere gottfeindliche Haltung, die sich auf allen Gebieten des Lebens auswirkt. Das Wissen um Gut und Böse hat sich der Mensch gleich am Anfang seiner Geschichte durch seinen Ungehorsam gegen Gott erworben. Gott hatte ihn angewiesen: „Von allen Bäumen im Garten sollst du nach Belieben essen, nur nicht von dem Baum, der dich Gut und Böse erkennen lässt.“ (1Mo 2,16f. NeÜ) Als Gott die Menschen dann aus dem Paradies hinauswies sagte er: „Nun ist der Mensch wie einer von uns geworden. Er erkennt Gut und Böse. Auf keinen Fall darf er jetzt auch noch vom Baum des Lebens essen, um ewig zu leben.“ (1Mo 3,22 NeÜ).

Der Böse in Gestalt der Schlange hatte Gott als den Bösen hingestellt, der den Menschen das Beste missgönne: „Gott weiß genau, dass euch die Augen aufgehen, wenn ihr davon esst. Ihr werdet wissen, was Gut und Böse ist, und werdet sein wie Gott.“ (1Mo 3,5 NeÜ)

Ja, die Menschen wussten dann, was Gut und Böse ist, aber sie wussten nicht, dass sie nicht die Kraft haben würden, das Gute zu tun und das Böse zu meiden. Ihr Wissen war zwar erweitert und ihr Gewissen geweckt worden, aber gleichzeitig war noch etwas viel Schlimmeres geschehen: Sie selbst waren in ihrem Herzen böse geworden. Es dauerte nicht lange, da sah Gott, „wie groß die Bosheit der Menschen auf der Erde war. Ihr ganzes Denken und Streben, alles, was aus ihrem Herzen kam, war immer nur böse.“ (1.Mo 6,5 NeÜ) Selbst Paulus stellte als Apostel von Jesus Christus fest:

Denn ich weiß, dass in mir, das heißt in meiner Natur, nichts Gutes wohnt. Es fehlt mir nicht am Wollen, aber ich bringe es nicht fertig, das Gute zu tun. Ich tue nicht das Gute, das ich tun will, sondern das Böse, das ich nicht will. Wenn ich aber das tue, was ich gar nicht will, dann bin nicht mehr ich der Handelnde, sondern die Sünde, die in mir wohnt. (Röm 7,18-20 NeÜ)

Ja, wählen kann der sündige Mensch zwischen Gut und Böse, aber umsetzen kann man es nicht.

Das Geheimnis der Bosheit

Das Böse wird von uns als Macht erfahren, obwohl es keine abstrakte Macht ist. Nach Aussage der Bibel existiert es nur in dem bösen Wesen und den bösen Taten gottloser Menschen und Dämonen.

Manchmal jedoch scheint „die Macht des Bösen“ sogar stärker als das Gute zu sein. Viele Menschen haben deshalb früher schon gedacht, dass es zwei Mächte gibt: die eine, die das Gute betreibt und die andere, die es bekämpft. Einige gehen sogar so weit wie der Häretiker Marcion, der den Gott des Alten Testaments als den Bösen und den des Neuen Testaments als den Guten erklärte.

Wenn die Bibel aber nur einen Gott verkündigt, dann müsste Gott doch irgendwie auch der Urheber des Bösen sein – oder? Zumindest hat er eine Welt geschaffen, in der das Böse existieren kann. Das führt zu einem Dilemma: Entweder hat Gott auch das Böse gewollt oder er ist nicht mächtig genug, es zu verhindern. Beides wird von der Bibel aber eindeutig verneint.

Hat Gott das Böse vielleicht nur zugelassen? Aber wäre er dann nicht grausam, wenn er das Böse gestattet? Von Goethe soll der Satz stammen: „Wenn ich Gott wäre, so würden die Sünden und das Leid dieser Welt mir das Herz brechen.“ Zum Glück war Goethe nicht Gott und er war auch nicht gut. Der Gott, der sich in der Bibel offenbart, ist allmächtig, er ist gut und voller Liebe. Trotzdem bleibt die bohrende Frage: Woher kommt dann das Böse?

Gott schuf eine Welt der vollkommenen Harmonie, des Friedens und der Freiheit in der Einordnung unter seinen alleingültigen Willen. In dieser Ordnung war die Schöpfung nach Gottes eigenem Urteil sehr gut (1Mo 1,31). Gott hat das Böse in der Welt nicht gewollt und nicht geschaffen.[ 3 ]Rienecker/Maier/Schick/Wendel. Lexikon zur Bibel: SCM R.Brockhaus 2013.

 

Die Möglichkeit zur freien Entscheidung

Zur Harmonie in der Schöpfung gehörte es aber, dass der Mensch als oberstes und verantwortliches Wesen durch freiwilligen Gehorsam Gott in dieser Welt repräsentierte. Deshalb gab Gott ihm die Möglichkeit zur freien Entscheidung für das Gute. Deutlich wird das durch die Setzung eines Gebots (1Mo 2,17). Die Freiheit, das Gute zu wählen beinhaltet aber notwendigerweise auch die Freiheit, sich für das Böse zu entscheiden mit all seinen schrecklichen Folgen.

Wenn Gott die Menschen schuf, um sie zu lieben und Gemeinschaft mit ihnen zu haben, mussten sie das Vorrecht besitzen, sich dafür entscheiden zu können, ihn zu wiederzulieben. Solange es nicht die Möglichkeit gibt, Liebe abzulehnen, besteht auch nicht die Möglichkeit, Liebe zu erwidern.[ 4 ]Nach Gleason L. Archer. Schwer zu verstehen. Biblische Fragen und Antworten. Bielefeld: CLV 2005. S. 500

Warum machte Gott Adam und Eva nicht vollkommen, sodass sie der Versuchung hätten widerstehen können? Die Antwort auf diese Frage lautet: Ohne die Möglichkeit zum Bösen gäbe es nicht die Möglichkeit zum Guten.[ 5 ]Archer 2005.

Ein Analogieschluss

Damit ist aber immer noch nicht die Frage geklärt, warum Gott erlaubte, dass es ein Wesen wie den Satan gibt, der auch Teufel beziehungsweise die uralte Schlange oder der große Drache (Offb 12,9) genannt wird. Hier sind wir auf einen Analogieschluss angewiesen, denn die Bibel beantwortet diese Frage nicht, jedenfalls nicht direkt.

Die Bibel bezeugt einerseits die personale Wirklichkeit von Engeln, die Gott und Menschen dienen, aber auch von Satan und gefallenen Engeln (2Pt 2,4).

Der Prophet Jesaja beschreibt in einem Spottlied auf den König von Babel das Wesen eines extrem hochmütigen Menschen:

Ach wie bist du vom Himmel gefallen, funkelnder Morgenstern. / ... Du, du hattest in deinem Herzen gedacht: / 'Ich will zum Himmel hochsteigen! / Höher als die göttlichen Sterne stelle ich meinen Thron! … Über die Wolken will ich hinauf, / dem Allerhöchsten gleichgestellt sein!' (Jes 14,12-14 NeÜ)

Der Prophet Hesekiel schreibt es in einer Totenklage in Bezug auf den Fürsten von Tyrus:

Du warst gesalbt als ein schirmender Cherub, / und ich hatte dich dazu gemacht … Du bliebst vollkommen / vom Tag deiner Erschaffung an, / bis man Unrecht an dir fand ... / Da verstieß ich dich von Gottes Berg / und trieb dich ins Verderben, / du schirmender Cherub. (Hes 28,14-16 NeÜ)

In beiden Fällen gehen die Aussagen weit über einen irdischen König oder Fürsten hinaus, sodass viele Ausleger denken, dass hier indirekt vom Fall Satan gesprochen wird.

Das klärt aber immer noch nicht die Frage, warum Satan und sein ganzer Anhang von Gott abgefallen ist. Von der Entscheidungsfreiheit des geschaffenen Menschen schließen wir auf die Entscheidungsfreiheit der Engel, die ja ebenfalls geschaffene intelligente Wesen sind. Das führt uns zu dieser Aussage: Gott hat ihnen erlaubt, sich zu entscheiden, seine Liebe nicht zu erwidern. Gott hat sozusagen das Fehlen des Guten in seinen geschaffenen Wesen zugelassen. So fand das Böse, das vollkommene Fehlen des Guten, seinen Raum in Satan und seinem Anhang, die seitdem dafür sorgen, dass es verbreitet wird.

Warum Satan sich gegen die Liebe Gottes entschieden hat, das werden wir hier auf der Erde nie beantworten können.

Das Ende des Bösen

Es bleibt die Frage, ob solch ein Fall im Himmel nicht doch noch einmal geschehen könnte. Wenn ja, dann wäre auch unsere Zukunft im Himmel nicht sicher. Die Antwort auf diese hypothetische Frage liegt in der Heilsgeschichte Gottes wie sie in der Bibel dokumentiert wird und ihren Höhepunkt im Leiden, Sterben, Auferstehen und der Himmelfahrt unseres Herrn Jesus Christus findet. Auch die Frage nach der Ungerechtigkeit und dem Leid „unschuldiger“ Menschen wird durch den beantwortet, der ganz in der Liebe Gottes lebte, ihm völlig gehorchte, der niemals gesündigt hat und vollkommen unschuldig war.

Denn niemals sonst geschah solche Ungerechtigkeit. Niemals sonst hat jemand solche Qualen erlitten, wie er. Und er war Gott. Das ermöglicht es uns zu wissen, dass Gott mit dem Problem des Bösen und des Leids völlig vertraut ist.[ 6 ]R.T. Kendall. Theologie leichtgemacht. Lernen, worauf es ankommt. Holzgerlingen: Hänssler 2002. S. 639f

Wer diese Liebe Gottes, die sich in der gesamten Geschichte des Heils und besonders in Jesus Christus ausdrückt, im Unglauben verachtet, bleibt unter dem Zorn und Urteil Gottes und wird für immer von ihm getrennt sein.

Dann wird es zur endgültigen Scheidung des Bösen vom Guten kommen. Die einen gehen in das ewige Leben und die anderen in die ewige Strafe und Qual (Mt 24,46). Beide Zustände werden endlos sein.

Dann wird er zu denen auf der linken Seite sagen: ‚Geht mir aus den Augen, ihr Verfluchten! Geht in das ewige Feuer, das für den Teufel und seine Engel vorbereitet ist!‘ (Mt 24,41 NeÜ)

Wie das aussieht, wird uns in der Offenbarung beschrieben. Alles deutet auf eine schreckliche und bewusst empfundene Strafe hin.

Und der Teufel, der sie verführt hatte, wird in den Feuersee geworfen, den See, der mit brennendem Schwefel gefüllt ist, in dem sich schon das Tier und der falsche Prophet befinden. Dort werden sie für immer und ewig Tag und Nacht schreckliche Qualen erleiden. (Offb 20,10 NeÜ)

Diese Verse sollen uns die Ungeheuerlichkeit des Bösen, das hinter der Sünde und der Rebellion gegen Gott steckt, und die Größe der Heiligkeit und der Gerechtigkeit Gottes vor Augen führen, die eine derartige Bestrafung erforderlich machen.[ 7 ]Wayne Grudem. Biblische Dogmatik. Eine Einführung in die systematische Theologie. Bonn/Hamburg: VKW/ arche-medien 2013 S. 1271.

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