Es handelte sich um Johannes 7,38. Die Lutherbibel von 1912 hatte es so übersetzt:

Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von des Leibe werden Ströme des lebendigen Wassers fließen.

"Wie die Schrift (des Alten Testaments) sagt" bezieht sich hier anscheinend auf den Glauben. Das war es, was gesucht wurde. Wir sollen so an Jesus glauben, wie es die Schrift sagt. Dagegen ist eigentlich nichts einzuwenden. Meine Wiedergabe des Verses lautete aber:

Wenn jemand an mich glaubt, werden Ströme von lebendigem Wasser aus seinem Inneren fließen, so wie es die Schrift sagt.

Der Sinn ist hier: Die Schrift (des Alten Testaments) betätigt die Aussage des Herrn, dass Ströme lebendigen Wassers fließen. Jesus denkt hier wohl an Quellen, die Gott ausdrücklich erschafft, z.B: Psalm 78,19-20; Jesaja 44,3; 58,11; aber auch an das, was er selbst gesagt hatte (Johannes 4,10.14).

Gibt es in beiden Varianten inhaltlich überhaupt einen Unterschied? Schließlich fließt das lebendige Wasser doch in beiden Fällen. Das ist übrigens ein sehr schönes Bild für das Wirken des Heiligen Geistes, wie der nachfolgende Vers beweist. Aber wenn der gewohnte Wortlaut fehlt, wirkt der ganze Vers im Sinn entstellt.

Warum ist ein einfacher Vers so schwierig?

Der Apostel Johannes hat die Worte "wie die Schrift sagt" im Griechischen genau zwischen die beiden Aussagen gestellt. Ja, auch vom griechischen Grundtext her sind beide Verständnisse möglich und Theologen haben seit alter Zeit darüber diskutiert.

Der Übersetzer muss entscheiden: Überlässt er dem Leser, was hier betont werden soll (so machen es alle wortgenauen Übersetzungen), oder wählt er die Variante, die ihm vom Zusammenhang her (dem Vers davor und dem danach) als die richtigere erscheint. Das ist der Nachteil von sinngenauen Übersetzungen.

Aber damit sind die Probleme noch nicht zu Ende.

Es stellte sich nämlich heraus, dass Joh 7,37 auch noch dazu gehört und beide Verse deshalb zu den am schwierigsten zu übersetzenden Texten des Neuen Testaments gehören. Denn im ursprünglichen griechischen Text gab es ja keine Satzzeichen (nicht einmal Worttrennungen). Deshalb kann man die Verse tatsächlich auch so wiedergeben, wie es in der Übersetzung von Hermann Menge in der Anmerkung steht:

37 Wenn jemand dürstet, der komme zu mir,
und es trinke, 38 wer an mich glaubt.
Wie die Schrift gesagt hat:
'Aus seinem (Jesu) Leib
werden Ströme lebendigen Wassers fließen.'

Aber auch das bleibt doppeldeutig, denn "seinem" kann sich auf den Herrn beziehen, wie Hermann Menge meinte, eventuell aber auch auf den Glaubenden. Man kommt also aus der Zwickmühle nicht heraus. Die meisten Übersetzer entscheiden sich deshalb, mit V. 38 einen neuen Satz zu beginnen, der zunächst vom Glaubenden spricht.

Ich stelle also nach wie vor Vers 38 in den Zusammenhang der Verse 37-39, was dann in der NeÜ so aussieht:

Am letzten Tag, dem Höhepunkt des Festes, stellte sich Jesus ‹vor die Menge› hin und rief: "Wenn jemand Durst hat, soll er zu mir kommen und trinken! Wer an mich glaubt, aus dem werden – wie die Schrift gesagt hat – Ströme lebendigen Wassers fließen." Er meinte damit den Geist, den die erhalten sollten, die an ihn glauben würden. Der Heilige Geist war ja noch nicht gekommen, weil Jesus noch nicht in Gottes Herrlichkeit zurückgekehrt war.

Aber nach der Himmelfahrt unseres Herrn Jesus Christus ist der Heilige Geist gekommen. Und zwar am ersten Pfingsttag der Christenheit. Geben wir ihm Raum in uns!

 

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