Wenn Gemeinden über die Frage der Ältesten nachdenken, dann spielt diese Frage nach den "gläubigen" Kindern oft eine große Rolle bei ihren Überlegungen. Man macht sich Gedanken: Was ist, wenn die Kinder noch klein sind? Und was ist wenn sie dann groß geworden und den Weg des Glaubens vielleicht nicht mehr mitgehen wollen? Muss der Älteste dann zurücktreten?
Zunächst einige Beobachtungen
In seinem Schreiben an Titus geht es dem Apostel darum, woran Titus einen Ältesten erkennen und in diesen Dienst berufen kann. Es geht also um die Einsetzung von geeigneten Ältesten und nicht um eine Absetzung. Im Brief an Timotheus (1Tim 3,1-7) geht es um jemand, der einen solchen Dienst von sich aus anstrebt. Dem sollten auch die Kriterien dafür bewusst sein.
In beiden Briefen spielt die Familie eine große Rolle. Wenn ein Mann nicht einmal seiner Familie im biblischen Sinn vorstehen und seine Kinder erziehen kann, ist er offensichtlich auch nicht für einen Ältestendienst in der Gemeinde geeignet. Das Kriterium "gläubige Kinder" als Maßstab für potentielle Älteste findet sich aber nicht im Brief an Timotheus, sondern nur in dem an Titus. Warum?
Der Begriff
Das Wort, um das es Tit 1,6 geht, heißt auf Griechisch pistos. Ein Blick ins Wörterbuch zeigt schnell, dass die Hauptbedeutung tatsächlich als vertrauenswürdig, glaubwürdig, zuverlässig, treu beschrieben wird.
Pistos kommt 67mal im Neuen Testament in verschiedenen Formen vor und wird sehr unterschiedlich übersetzt. Im Titusbrief (1,9) zum Beispiel mit zuverlässig. Es gibt nur wenige Stellen, wo es mit gläubig übersetzt werden muss. So in Gal 3,9 der gläubige Abraham. 1Tim 5,16; 6,2: die gläubige Frau, der gläubige Herr. Aber in Bezug auf Gott oder den Herrn oder das Wort oder auch Timotheus wird es nie mit gläubig übersetzt (2 Kor 1,18; 2Thes 3,3; 1Tim 4,9; 1Kor 4,17), sondern mit treu oder zuverlässig.
Ein Wort definiert sich also immer aus seinem Zusammenhang und kann nicht einmal in der Elberfelder Bibel an jeder Stelle gleich übersetzt werden. Wie muss Titus 1,6 also übersetzt werden: "‹an Christus› gläubige Kinder, die nicht eines ausschweifenden Lebens beschuldigt oder aufsässig sind", oder doch besser "vertrauenswürdige Kinder"? Beides ist prinzipiell möglich.
Der Zusammenhang
Die eigene Familie ist als Kriterium für einen vorgesehenen Ältesten1 sehr wichtig. Er muss sich in vorbildlicher Weise um seine Familie kümmern, sodass seine Kinder ihn achten und ihm gehorchen können (1Tim 3,4). Er soll vertrauenswürdige (oder gläubige?) Kinder haben, die nicht als zügellos oder ungehorsam bekannt sind (Tit 1,6).
Der gläubige Ehemann ist also für die gute Erziehung seiner Kinder verantwortlich. Er kann das nicht allein an seine Frau delegieren. Die Kinder müssen in einer ehrbaren Weise Gehorsam gelernt haben, sodass sie den Vater weiterhin achten. Dass sie nach biblischen Maßstäben erzogen werden, ist selbstverständlich.
Der Textzusammenhang setzt offenbar jugendliche oder erwachsene Kinder voraus. Sie dürfen nach Tit 1,6 nicht zügellos sein (REÜ: eines ausschweifendem Lebens beschuldigt, LUT: Schwelger bzw. liederlich). Das Wort asotos im Griechischen bedeutet, dass jemand unmäßig lebt, alles zu seinem persönlichen Vergnügen verschwendet und schließlich sich selbst ruiniert. In einer Familie, deren Kinder wirklich gläubig sind, ist es nicht vorstellbar, dass diese in der Nachbarschaft generell als zügellos und ungehorsam bekannt sind.
Der Titusbrief zeigt allerdings die besondere Situation auf Kreta im Umgang mit sehr schwierigen Menschen dort (auffällig in Tit 1,10-12.16). Meinte Paulus vielleicht deshalb unbedingt ein Gläubigsein unter den Familienangehörigen eines Ältesten, wenigstens im formalen Sinn? Wir können es nicht sicher entscheiden.
Von daher bleibe ich in Tit 1,6 bei der Übersetzung vertrauenswürdig, setze aber eine Fußnote: "Andere übersetzen den Begriff hier als gläubig oder einfach als gehorsam mit der Anmerkung: wörtlich: treu/gläubig."
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