Wenn jemand sagt: „Im Himmel sind die Schwestern auch Brüder!“, dann bemüht er sich offenbar um einen Scherz und will keine biblische Lehre verkünden. Es mag sein, dass Frauen in der Gemeinde sich verunsichert fühlen oder gleich empört fragen, ob sie denn in der Bibel nur unter „ferner liefen“ vorkommen.
Sind "Brüder" Geschwister?
Sind sie wirklich mit gemeint, wenn da steht: „Habt nun Geduld, Brüder, bis zur Ankunft des Herrn!“, oder „Übrigens, meine Brüder, freut euch im Herrn!“, oder „Brüder, seid nicht Kinder am Verstand, sondern an der Bosheit seid Unmündige, am Verstand aber seid Erwachsene!“ Werden hier nur die Brüder ermahnt oder die ganze Gemeinde? Natürlich alle! Die Gegenprobe macht es verständlich: Sollen die Schwestern etwa keine Geduld haben, sich nicht im Herrn freuen und ansonsten kindisch sein? – Aber warum steht dann nur „Brüder“?
Offensichtlich deshalb, weil damals jeder, der Griechisch sprach, wusste: Brüder bedeutet auch „Geschwister“. Die griechische Sprache hat nun mal kein Wort für „Geschwister“. Deshalb habe ich mir erlaubt, an verschiedenen Stellen das griechische Wort „adelphoi“ mit „Geschwister“ zu übersetzen. Bei den obigen Beispielen klingt das in der „Neuen evangelistischen Übersetzung“ (NeÜ) dann so: „Haltet also geduldig aus, liebe Geschwister!“ (Jak 5,7), oder: „Übrigens, liebe Geschwister, freut euch im Herrn!“ (Phil 3,1), oder: „Seid doch nicht Kinder im Verstand, liebe Geschwister. In der Bosheit, da sollt ihr wie kleine Kinder sein, im Verstand aber seid erwachsen!“ (1Kor 14,20)
Damit zog ich mir allerdings den Zorn einiger richtiger Brüder auf den Hals. Sie schlugen sofort in der Elberfelder Bibel nach und zur Sicherheit noch einmal in der Interlinear-Übersetzung. Und siehe da: Es fanden sich tatsächlich immer nur „Brüder“. Einige hieben sofort auf die Tasten und fragten mehr oder weniger deutlich ob der Übersetzer denn nun auch schon zu den Feministen übergewechselt sei, die aus dem Heiligen Geist eine unheilige Geistin gemacht haben und aus dem Vaterunser eine „Vater und Mutter unser“.
Was den Übersetzer betrifft, kann ich versichern: Er ist nicht übergewechselt. Doch das Pochen auf „die Brüder“ trifft hier dreimal voll daneben: 1. neben den Zusammenhang, 2. neben das Wörterbuch und 3. neben die Übersetzung.
Der Zusammenhang
Das gleiche Wort kann im anderen Zusammenhang eine andere Bedeutung haben. So kann das biblische Wort „Fleisch“ das Fleisch meinen, das man in Korinth auf dem Markt kaufte, aber auch die Umschreibung für den Körper eines Menschen sein. Es kann sein irdisches Leben meinen oder sein ichsüchtiges Wesen, seine sündige Natur.
Genauso ist es mit den Brüdern: der griechische Begriff, der mehr als 200 Mal im NT vorkommt, kann leibliche Brüder meinen, z.B. die (Halb-)Brüder des HERRN, oder auch Angehörige der gleichen Nation. Er kann die Männer meinen, die an Christus glauben, oder alle Gläubigen an einem Ort. Im letzteren Fall sind natürlich die Frauen eingeschlossen.
Also: Wo der Zusammenhang deutlich macht, dass die Schwestern einer Gemeinde mitgemeint sind, sollte man „Brüder“ mit „Geschwister“ übersetzen – sonst natürlich nicht! Denn manchmal ist auch die Verantwortung betont – die bleibt natürlich bei den Brüdern der Gemeinde. Manchmal werden auch Brüder und Schwestern in einem Zusammenhang erwähnt, dann sind jeweils eben nur die männlichen oder die weiblichen Gläubigen angesprochen.
Das Wörterbuch
Nur ein Wörterbuch listet sämtliche Bedeutungen eines Begriffes auf. Eine Interlinear-Übersetzung hilft hier nicht weiter. Gewöhnlich täuscht sie nur eine Genauigkeit vor, die nicht gegeben ist, wenn man nicht wirklich Griechisch kann, oder wenn man den Zusammenhang nicht beachtet.
Alle Wörterbücher besagen, dass der Plural des Wortes adelphos „Geschwister“ schlechthin meint, also auch Geschwister verschiedenen Geschlechts, z.B. Lk 21,16: „Sogar eure Eltern und Geschwister (adelphoi), eure Verwandten und Freunde werden euch ausliefern.“ Hingegen heißt der Plural von Schwester (adelphê) nie Geschwister. So ist das auch in anderen Sprachen, z.B. in Ungarisch oder Spanisch.
Die Übersetzung
Eine allzu wörtliche Übersetzung lässt den Leser oft schwimmen, anstatt ihn an andere Ufer über(zu)setzen. Wenn er nicht die Hintergründe der Kultur und Sprache versteht, weiß er bei einer 1:1-Übersetzung in vielen Fällen immer noch nicht, was gemeint ist. Eine gute Übersetzung kann sich also nicht nur mit den Wörtern befassen, sondern muss immer auch deren Sinnzusammenhang und Kultur berücksichtigen.
Wir halten fest: Ein Begriff wird grundsätzlich aus seinem Zusammenhang definiert und seine Bedeutung durch den Gedankengang des Abschnitts bestätigt. Dazu muss man nicht unbedingt Griechisch können, sondern nur fleißig die Bibel im Zusammenhang lesen.
B’hüet Di Gott Philippe
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