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"Chronologie ist wichtig. Ohne Chronologie ist es nicht möglich, die Geschichte zu verstehen, denn Chronologie ist das Rückgrat der Geschichte."[*]Edwin R. Thiele (1895-1986), amerikanischer Archäologe und Professor für Altes Testament. Verdient gemacht hat er sich vor allem durch chronologische Studien zur israelitischen Königszeit.

Die alten Kulturvölker, die Ägypter, die Griechen, die Römer, haben Geschichte vorwiegend als Kreisläufe begriffen.

In Anlehnung an die Zyklen der Natur hat man sie in Phasen von Blüte, Reife und Verfall eingeteilt. Diese Abläufe würden sich in immer neuen Zyklen wiederholen.[*]Nach Emrich S. 109. Die Bibel setzt dem, seit Mose vor mehr als 3400 Jahren das erste biblische Buch (Genesis) zusammenstellte, ein lineares Geschichtsbild entgegen, das einen klar definierten Anfang hat und geradlinig auf ein Ende, ein Ziel der Geschichte, hinsteuert.

Damit hat das jüdisch-christliche Denken ein besonders klares Bewusstsein für Geschichte. Zwar haben auch viele andere Religionen Weltentstehungsgeschichten, aber keine hat einen Blick für das Ende der Welt.[*]Siehe auch "Bild der Wissenschaft" Nr. 6/1999 S. 72 ff.

Israel ist das einzige Kulturvolk der Welt, das uns einen lückenlosen chronologischen Bericht seiner eigenen Geschichte gibt. Gerade die für heutige Bibelleser scheinbar uninteressanten Geschlechtsregister in 1. Mose 5 und 11 machen deutlich, daß die berichteten Ereignisse geschehene Geschichte sind. Wenn man die Altersangaben bei der Geburt des jeweiligen Verheißungsträgers[*]Das war nicht in jedem Fall der erstgeborene Sohn, sondern der, mit dem die Linie der Geschlechterfolgen bis zum Messias weiterläuft. Beispiele dafür sind die Söhne Noahs (vgl. 1Mo 5,32; 10,21 und 11,10) und die Söhne Sems (vgl. 1Mo 10,22 und 11,10). zusammenzählt, erhält man in der Urgeschichte die Zeitspanne von Adam bis Abraham. Gott will mit diesen genauen und ausführlichen chronologischen Angaben offensichtlich die historische Glaubwürdigkeit und die Kontinuität der Verheißungslinie betonen.

Chronologische Kette

Durch ihre vielfältigen Zeitangaben (Lebensalter, Alter bei Geburt des ersten Sohnes, bei Herrschaftsantritt eines Königs, Regierungsjahre u.a.) ermöglicht es die Bibel, eine nahezu lückenlose Chronologie des Alten Testaments von der Geburt Abrahams bis zur Zeit Nehemias zu erstellen. Die Ereignisse werden dabei in Beziehung zueinander gesetzt, z.B. so:

Im fünften Regierungsjahr von Joram Ben-Ahab, dem König von Israel, trat Joram Ben-Joschafat, der bis dahin nur Mitregent war, die Herrschaft über Juda an. Er war damals 32 Jahre alt und regierte acht Jahre in Jerusalem. (2. Könige 8,16-17)

Auf diese Weise entsteht unter Berücksichtigung von Mitregentschaften, unterschiedlichen Datierungsarten, Zählweisen und Kalendersystemen eine chronologische Kette. Manchmal werden Ereignisse auch zu wesentlich früheren Zeiten in Beziehung gesetzt, wie der Beginn des Tempelbaus in Jerusalem zum Auszug Israels aus Ägypten:

Im April des 4. Jahres, in dem Salomo über Israel regierte – es war das 480. Jahr nach dem Auszug der Israeliten aus Ägypten –, begann der König das Haus für Jahwe zu bauen. (1. Könige 6,1).

Relative Chronologie

Wenn man diese Angabe ernst nimmt und außerdem beachtet, dass im Richterbuch einige Richter nur regionale Bedeutung hatten und teilweise gleichzeitig regierten, bekommt man eine relative Chronologie bis zum Auszug Israels aus Ägypten. (Diese Frühdatierung gewinnt neuerdings wieder archäologische Relevanz durch eine Revision der Chronologie Ägyptens und die daraus folgende Neueinordnung archäologischer Epochen im Gebiet Israels.)

Für noch weiter zurückliegende Ereignisse können keine genauen Angaben gemacht werden, weil hierfür nur die Geschlechtsregister vorliegen, deren Strukturen (wie z.B. Matthäus 1,1-17) Lücken nicht generell ausschließen. Wenn hier dennoch Jahreszahlen für diesen Zeitraum angegeben werden, um die Ereignisse in eine chronologische Ordnung zu bringen, richten sich diese ausschließlich nach den biblischen Angaben.

Absolute Chronologie

Um die relative alttestamentliche Chronologie in eine absolute Chronologie umzuwandeln, benötigt man mindestens einen Fixpunkt, an dem die biblischen Angaben mit unabhängig überlieferten außerbiblischen Angaben zusammentreffen, deren Datum man genau angeben kann. Für das Alte Testament bietet die Schlacht von Karkar dieses Datum, das mit Hilfe assyrischer Aufzeichnungen und einer astronomisch datierbaren Sonnenfinsternis (15. Juni 763 v.Chr.) auf das Jahr 853 v.Chr. festgelegt werden kann, das Todesjahr des Königs Ahab von Israel.

Für das Neue Testament, das nur einen Zeitraum von etwa 100 Jahren umfasst, stehen als Fixpunkte der Chronologie das 15. Jahr des Kaisers Tiberius zur Verfügung, das ins Jahr 27 n.Chr. für den Beginn der Wirksamkeit Johannes des Täufers führt (Lukas 3,1) und vor allem der Aufenthalt Gallios als Prokonsul in Korinth, der unter anderem durch eine Inschrift bezeugt ist und auf den 1. Juli 51 – 30. Juni 52 datiert werden kann. In dieser Zeit ist Paulus ihm dort begegnet (Apostelgeschichte 18,12-17).

Die Jahreszahlen im heutigen jüdischen Kalender beziehen sich auf die Erschaffung der Welt. Diese Chronologie ist im Mittelalter entstanden und geht von der Weltschöpfung am 7. Oktober 3761 v.Chr. aus. Auf dieses Datum kamen die Juden durch folgende Überlegung: Von Adam bis zum Auszug Israels aus Ägypten setzte man eine Zeitspanne von 2448 Jahren an und von da bis zur Zerstörung Jerusalems durch römische Truppen unter Titus noch einmal 1380 Jahre. Zusammen ergibt das 3828 Jahre. Den Fall Jerusalems legte man auf das Jahr 68 n.Chr. (richtig wäre 70 n.Chr. gewesen), so daß die Welt genau 68 - 3828 = 3760 Jahre vor Christi Geburt entstanden sein mußte. Wegen des Jahr-Null-Problems unserer Zeitrechnung muss noch ein Jahr addiert werden und man erhält das Jahr 3761 v.Chr. als das Jahr der Erschaffung der Welt. Weil alle geschichtlichen Vorgänge zu diesem Datum in Beziehung gesetzt werden, handelt es sich um eine absolute Chronologie.

Aber auch die christliche Zeitrechnung, die von dem "Jahr der Menschwerdung des Herrn", also der Geburt von Jesus Christus ausgeht und von diesem Zeitpunkt aus sowohl die vorherigen als auch die späteren Ereignisse einordnet, ist eine absolute Chronologie.

Der Schaltmonat

Der hebräische Kalender kombinierte das Sonnen- mit dem Mondjahr: die Sonne bestimmte das Jahr in seinem landwirtschaftlichen Rhythmus, der jeweilige Neumond bestimmte aber die Länge der 12 Monate von abwechselnd 29 und 30 Tagen.. Das heilige Jahr begann mit dem Neumond der Frühjahrs-Tag-und-Nacht-Gleiche. Weil das Mondjahr aber rund elf Tage kürzer ist als das Sonnenjahr, musste etwa alle drei Jahre ein Schaltmonat von 30 Tagen eingefügt werden (genauer: dreimal in acht Jahren). Welche Jahre nun die Schaltjahre wurden, ist für die Zeit des Alten Testaments nicht mehr feststellbar. Schon von daher ist es nicht möglich, die biblischen Datumsangaben mit einem genauen Datum des heutigen gregorianischen Kalenders wiederzugeben. Und selbst wenn man den genauen Beginn des Schaltmonats im entsprechenden Jahr kennen würde (wie in Babylon seit 425 v.Chr., wo man sieben Schaltmonate in 19 Jahren einfügte), bleibt immer noch eine Schwankungsbreite von durchschnittlich 14 Tagen für den Jahresbeginn.

Um dennoch die vielen konkreten biblischen Angaben verständlich und anschaulich zu übertragen, gehen wir von einem normalen Jahr aus und setzen den 1. des 1. Monats (Nisan) gleich dem 1. April, den 1. des 2. Monats (Ijjar) gleich dem 1. Mai usw. Damit können wir die biblischen Tageszählungen im Monat beibehalten und bleiben mit ausreichender Genauigkeit im erkennbaren Rahmen.

Lücken in der biblischen Chronologie

Das in den alttestamentlichen Genealogien verwendete hebräische Wort für "zeugen" oder "gebären" YALAD kann im direkten oder übertragenen Sinn gebraucht werden. In 1. Mose 46,18 hat das Wort eine übertragene Bedeutung: "Das sind die Söhne der Silpa, die Laban seiner Tochter Lea gegeben hatte; und sie GEBAR diese dem Jakob, sechzehn Seelen." Wir wissen, daß einige davon Enkel waren. Ein klassisches Beispiel ist auch Matthäus 1,8: "Joram aber ZEUGTE Usia". Tatsächlich war Usia der Ururenkel Jorams, wie wir aus dem AT wissen. Ähnlich ist es mit dem biblischen Gebrauch des Wortes Sohn. Wenn Josef, der Pflegevater von Jesus, ein "Sohn Davids" genannt wird (Matthäus 1,20), heißt das weiter nichts, als dass Josef ein Nachkomme Davids war.

Die Septuaginta und andere Quelltexte

In neutestamentlicher Zeit wurde das Alte Testament hauptsächlich in Form der Septuaginta (LXX), seiner griechischen Übersetzung, benutzt. Jesus zitierte daraus, die Apostel benutzten sie weitgehend, einige neutestamentliche Verfasser benutzten sie sogar ausschließlich. Es gibt Stellen wie Apg 15,17 (wo Amos 9,12 zitiert wird), an denen der neutestamentliche Wortlaut sich vollkommen vom Masoretischen Text (MT), dem überlieferten Hebräischen Text, unterscheidet. Das könnte bedeuten, daß an einigen Stellen die LXX den originalen Wortlaut bewahrt hat. Wenn man allerdings die Genealogie von Adam bis Abraham im MT und in der LXX vergleicht, ergeben sich bei den meisten Personen Differenzen von 100 Jahren.[*]Es könnte sein, dass die Übersetzer der LXX die Altersangaben bei sechs vorsintflutlichen und sechs nachsintflutlichen Patriarchen um 100 Jahre erhöht haben, um dadurch 1364 zusätzliche Jahre zwischen Adam und Abraham zu gewinnen und die alttestamentliche Chronologie an die des Ägypters Manetho anzupassen, vgl. Wiskin S. 33.

Nach den Zahlen der LXX müsste Metuschelach die Sintflut um 14 Jahre überlebt haben. Das kann nach den Aussagen der Bibel aber nicht der Fall sein.

Innerbiblische Differenzen

Manchmal scheinen sich biblische Zeitangaben zu widersprechen. So steht in 2. Chronik 16,1: "Im 36. Regierungsjahr Asas baute König Bascha von Israel die Stadt Rama zur Festung aus." Nach 1. Könige 16,6.8 war Bascha damals aber schon 10 Jahre tot. Die Spannung kann dadurch aufgelöst werden, dass man entweder annimmt, dass hier das 36. Jahr des Königreiches Juda gemeint ist, oder dass es sich um einen Abschreibfehler handelt, wobei die Vorlage die Zahlen als numerische Zeichen stehen hatte, die man im Althebräischen leicht verwechseln konnte. Es müsste dann heißen: "Im 16. Regierungsjahr Asas". Meist gibt es mehrere Möglichkeiten, solche innerbiblischen Differenzen sinnvoll zu erklären.

Das Thronbesteigungsjahr

Wenn man die Jahre von der Reichsteilung nach dem Tod Salomos bis zum Regierungsantritt Jorams von Israel zählt, ergeben sich im Südreich Juda eine Gesamtdauer der Regierungszeiten von 79 Jahren, im Nordreich Israel aber eine Zeit von 86 Jahren. Die Differenz erklärt sich dadurch, dass in Israel das Jahr, in dem ein König den Thron bestieg als volles Regierungsjahr gezählt wurde und in Juda erst das Jahr nach dem nächsten Jahresanfang als erstes Regierungsjahr zählte. [*]Es wird aber angenommen, dass das Nordreich Israel unter der Regierung von Joasch zum System des Südreichs wechselte, das dann bis zur assyrischen Gefangenschaft beibehalten wurde. Siehe hierzu Wolfgang Bluedorn und Hans-Georg Wünch: "Die Chronologie im Alten Vorderen Orient und im Alten Testament" in Pehlke "Zur Umwelt des Alten Testaments" S. 264 ff.

Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass manchmal der erste Monat des Jahres vom Nisan, dem Frühjahrsmonat, an gezählt wurde, in dem man das Passafest gefeiert hat, es andererseits auch den Tischri-Kalender gab, bei dem der erste Monat, der Tischri, im Herbst lag.

Der Auszug aus Ägypten

In 1. Könige 6,1 wird berichtet:

Im April des vierten Jahres, in dem Salomo über Israel regierte – es war das 480. Jahr nach dem Auszug der Israeliten aus Ägypten –, begann der König das Haus für Jahwe zu bauen.

Es ist allgemein anerkannt, dass der Grundstein für den Tempel im Jahr 966 v.Chr. gelegt wurde. Dann wäre der Auszug der Israeliten aus Ägypten im Jahr 1446 v.Chr. erfolgt. Dieses Datum wird von einer Aussage Jiftachs in Richter 11,26 bestätigt, wo dieser von 300 Jahren spricht, in denen Israel in dem Land wohnte, das früher den Ammonitern gehörte. Das Problem bei dieser sogenannten Frühdatierung des Auszugs ist, dass die in der Bibel erwähnten Jahre zwischen den 1446 und 966 v.Chr. eine höhere Summe als 480 ergeben. Man erklärt das so, dass in der Richterzeit einige Richter nur regionalen Einfluss hatten, sodass sich die Wirkungszeiten manche Richter überlappten.

Andere setzen den Auszug aus Ägypten aus archäologischen Gründen (z.B. Bau der Stadt Ramses) um das Jahr 1260 v.Chr. an (Spätdatierung). Das bringt freilich noch mehr Probleme mit der Richterzeit.

Neuerdings wird auch eine extreme Frühdatierung des Exodus im Jahr 1606 v.Chr. befürwortet, die sich allein aus biblischen Angaben ergeben soll. [*]Roger Liebi (Zusammenfassung eines Referats als PDF-Datei). Der Autor plant, seine Forschungsergebnisse in einer Gesamtschau zu veröffentlichen. Liebis Sicht (wird ähnlich von Philip Mauro und Henk L. Heijkoop vertreten) ist allerdings nach Ansicht anderer Fachwissenschaftler mit der Chronologie der Levante (z.B. der der Könige von Tyrus), mit astronomischen und radiometrischen Daten, mit den Zahlen für das altbabylonische Reich wie auch für das mittlere Reich in Ägypten nicht vereinbar (Studiengemeinschaft "Wort und Wissen").

Alternative Chronologie

Der ägyptische Oberpriester Manetho von Heliopolis schrieb um das Jahr 280 v.Chr. in griechischer Sprache eine Geschichte Ägyptens, die sich auf ältere Quellen stützt. Inzwischen ist aber bekannt, dass mehrere ägyptische Könige (vielleicht sogar ganze Dynastien) nebeneinander regiert haben, wodurch sich die Geschichte Ägyptens um vielleicht 150 Jahre verkürzt. Dadurch kann der in 1. Könige 14,25 und 2. Chronik 12,2 genannte Schischak nicht mehr mit Pharao Scheschonk I. identifiziert werden, was ohnehin auf schwerwiegende Probleme stößt, wenn man den Feldzugsbericht des Pharaos mit den biblischen Angaben vergleicht. Durch die von mehreren Seiten vorgeschlagene vorsichtige Revision der ägyptischen Chronologie kommt es zu einer Neubewertung archäologischer Epochen im Gebiet Israels und zu einer recht guten Übereinstimmung mit den biblischen Angaben. Die Arbeiten dazu stehen allerdings erst am Anfang.[*]Siehe Peter van der Veen & Uwe Zerbst (Hrsg.), Biblische Archäologie am Scheideweg?

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