Die Septuaginta setzte einen Meilenstein in die menschliche Kultur, denn durch sie konnte das Alte Testament in eine neue, ganz andersartige Sprach-, Denk- und Lebenswelt eindringen.[1]
Für das Judentum in der Diaspora wurde es damit nicht nur leichter, Proselyten zu gewinnen, sondern auch den eigenen Glauben zu verstehen. Entscheidende Bedeutung aber gewann die Septuaginta im Christentum. Im ersten Jahrhundert war sie die Bibel für die Christen schlechthin, die dann durch die Schriften der Apostel ergänzt wurde.
Wie es zur Septuaginta kam
Die Originale des Alten Testaments wurden in hebräischer Sprache, der Sprache des Volkes Israel, verfasst. Nur einige kurze Abschnitte sind auf Aramäisch[2] niedergeschrieben worden, das sich schon in der Zeit Jesajas [3] um 700 v.Chr. zur Sprache der Händler und Diplomaten entwickelt hatte und später Reichssprache im Perserreich wurde. Beide Sprachen sind als semitische Sprachen eng miteinander verwandt.
Seit der Zerstörung Jerusalems durch Nebukadnezzar (586 v.Chr.) lebten viele Juden in Babylon[4] und in Ägypten [5] Nachdem Alexander der Große den ganzen Nahen Osten erobert hatte, kamen nach 332 v.Chr. auch Judäa und Ägypten unter den Einfluss der hellenistischen Sprache und Kultur. Im Jahr 331 v.Chr. gründete Alexander die Hafenstadt Alexandria im Nildelta. Die Stadt entwickelte sich rasch zur größten und einer der berühmtesten Städte der ganzen griechischen Welt. In ihrer Blütezeit hatte Alexandria in Ägypten 700 000 Einwohner, 100 000 davon sollen Juden gewesen sein.[6] Der nach 21-jähriger Bauzeit 279 v.Chr. fertiggestellte Leuchtturm zählte zu den sieben Weltwundern der Antike. Die Bibliothek der Stadt war mit einem Schatz von 900 000 Schriftrollen die größte der Welt. Die jüdische Synagoge in Alexandria soll so riesig gewesen sein, dass man das „Amen!“ mit Fahnen signalisieren musste. Die Stadt war das intellektuelle und literarische Zentrum der jüdischen Diaspora.[7]
Nach dem Tod Alexanders des Großen 323 v.Chr. hatten seine vier Generäle das Riesenreich unter sich aufgeteilt. Ptolemaios erhielt Ägypten, Antigonos Syrien. Damit wurde Israel schon durch seine geografische Lage zum Schlachtfeld und zur Beute dieser beiden Generäle bzw. ihrer Nachkommen. Um das Machtgleichgewicht zu erhalten, suchten aber sowohl die syrischen als auch die ägyptischen Herrscher die Gunst der Juden, sobald sie Israel wieder einmal erobert hatten. Das hatte zur Folge, dass diejenigen Juden, die sich auf die Seite des Gegners geschlagen hatten, aus Israel in dessen Gebiet abwanderten. Für die Juden in Ägypten waren die Arbeitsbedingungen und Handelsmöglichkeiten so gut, dass in wenigen Jahren eine große Kolonie entstand. Offenbar waren die Juden mit ihrer Tatkraft und ihrem Fleiß in den neu gegründeten griechischen Städten gern gesehen.[8]
So ergab sich die Notwendigkeit einer Übersetzung des Alten Testaments in die griechische Sprache, denn die Muttersprache dieser Diaspora-Juden wurde das Griechische. Es handelte sich dabei nicht mehr um das klassische Griechisch der Philosophen aus dem Athen des fünften Jahrhunderts vor Christus, sondern um die sogenannte Koine, die aus einer Vermischung der griechischen Dialekte entstanden war und sich nach den Feldzügen Alexanders des Großen im ganzen Mittelmeerraum ausgebreitet hatte.
Der Name der Septuaginta hängt mit dem Bericht eines gewissen Aristeas über ihre Entstehung zusammen. Aristeas war ein jüdischer Autor aus der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts vor Christus. Er gibt vor, bei den Ereignissen dabei gewesen zu sein und berichtet in legendarischer Weise von der Entstehung einer griechischen Übersetzung der fünf Bücher Mose zur Zeit des ägyptischen Königs Ptolemaios II. Philadelphos (282-246 v.Chr.). Heute ist man sich einig, dass die fünf Bücher des Pentateuch tatsächlich schon im 3. Jh. v.Chr. übersetzt wurden.
Zweiundsiebzig gelehrte Übersetzer (aus jedem Stamm Israels sechs) seien Aristeas von Jerusalem aus nach Alexandria gefolgt und dort vom König festlich empfangen worden. Für ihre Arbeit seien sie in einem geräumigen Gebäude auf der Insel Pharos einquartiert worden, die unmittelbar vor dem Hafen von Alexandria liegt. Dort hätten sie in 72 Tagen ihre Übersetzung vollendet und seien durch Vergleich zu einem einheitlichen Text gekommen, der dann von einem gewissen Demetrios aufgezeichnet wurde. Der jüdischen Gemeinde zu Alexandria wird die Übersetzung vorgelesen; sie billigt sie und erklärt sie für unveränderlich.
Dieser Bericht des Aristeasbriefes wird zuerst von dem jüdischen Historiker Flavius Josephus (38 n.Chr. bis nach 100 n.Chr.) in seinem Werk Jüdische Altertümer verwendet. Philo von Alexandria (15 v.Chr. bis etwa 50 n.Chr.) behauptet in seinem Werk Leben des Mose die völlige Gleichheit jeder einzelnen Übersetzung durch „göttliche Eingebung“ wie durch ein „unsichtbares Diktat“. Spätere christliche Autoren nennen außerdem noch 70 Zellen, in denen die Übersetzer in strenger Klausur gearbeitet hätten. Die Übersetzungen seien nicht in einem einzigen Wort voneinander abgewichen. Damit sollte die göttliche Inspiriertheit der griechischen Fassung zum Ausdruck gebracht, so dass die Septuaginta der hebräischen Bibel in nichts nachsteht.
Die gerundete Zahl der 72 Übersetzer führte zur Bezeichnung „Septuaginta“ = Siebzig (LXX). Der christliche Apologet Justin, der 165 n.Chr. den Märtyrertod starb, verwendete den Begriff Septuaginta das erste Mal in seinem Werk „Dialog mit Trypho“. Trypho war ein gebildeter Jude, der den Christen vorwarf, das Gesetz zu brechen und einen Menschen zu verehren. Justin antwortet mit Respekt und Höflichkeit und argumentiert von der Schrift aus, die beide anerkannten. Dabei gebraucht er den Begriff Septuaginta für die gesamte Übersetzung von Tora und Propheten.[9]
-------------- Fußnoten --------------
[1] Jobes, Karen H./Silva, Moisés: Invitation to the Septuagint. Grand Rapids: Baker Publishing Group 2005.
[2] Esra 4,8 – 6,18; 7,12-26; Dan 2,4b – 7,28; Jer 10,11 und zwei Worte in 1Mo 31,47.
[3] Vgl. Jes 36,11-14.
[4] Nur ein Teil von ihnen (etwa 50 000) kehrte nach dem Exil nach Judäa zurück, vgl. Esra 2,64-68.
[5] Siehe Jeremia 42,1-43,7.
[6] Nach anderen sogar 300 000.
[7] Grünzweig/Laubach/Maier (Hrsg.). Das große Bibellexikon. Wuppertal/Gießen: 1987 Band 1 S. 44. Die Synagoge in Alexandria war das größte jüdische Bauwerk des antiken Judentums nach dem Tempel.
[8] Merrill C.Tenney. Die Welt des Neuen Testaments. Marburg: 19944.
[9] Die jüdischen Legenden zur Entstehung dieses Werks bezogen den Begriff hoi hepdomêkonta (die Siebzig), lateinisch: Septuaginta allerdings immer nur auf die Übersetzung der Tora, der fünf Bücher Mose.
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