Die Übersetzer waren grundsätzlich bestrebt, jüdische Dinge auf Griechisch so zum Ausdruck zu bringen, dass sie jüdisch bleiben und dennoch von Griechen verstanden werden.
Oftmals mussten sie vom Wortlaut abweichen, weil das Hebräische grammatische Konstruktionen hat, die es im Griechischen überhaupt nicht gibt, zum Beispiel ein ganz anderes Tempussystem.
Manchmal geben sie aber auch den gleichen hebräischen Begriff, zum Beispiel[10] dabar, mit ganz verschiedenen Begriffen wieder: mit „Botschaft“ (Spr 12,25), „Brief“ (Est 4,3), „Werk“ (1Kö 18,36), „Rechtsentscheid“ (Ex 18,22), „Wort“ (Gen 34,18), „Tat“(Ex 1,18), mit „Brauch“ (Num 18,7) oder „Stimme“ (Gen 15,4). Die Übersetzer wollten den Begriff je nach Zusammenhang präzisieren.
Andererseits konnte ein Übersetzer verschiedene Arten von Sünde, die mit unterschiedlichen hebräischen Wörtern bezeichnet werden, allesamt durch den gleichen Begriff Gesetzlosigkeit wiedergegeben, zum Beispiel: „Falschheit“ (Ps 5,6), „Nichtsnützigkeit“ (Ps 18,5), „Sünde der Unzucht“ (Ps 26,10), „Kränkung“ (Ps 139,24), „Gewalttat“ (Ps 55,10), „Verkehrtheit“ (Ps 49,6), „Ungerechtigkeit“ (Ps 37,1), „Frechheit“ (Ps 31,19), „Lüge“ (Ps 7,15). Er verstand sämtliche Sünden als Verstoß gegen das Gesetz Gottes, die Tora.
Die Unterschiede zum hebräischen Text hängen also einerseits von der Übersetzungsmethode ab, wobei auch die einzelnen Übersetzer sich nicht konsequent an eine einzige Methode halten. So gibt es schon im ersten Buch Mose Passagen, die sehr wörtlich ihrer hebräischen Vorlage folgen und andere mit einer weitaus freieren Beziehung zwischen Vorlage und Übersetzung. Auch das zweite Buch Mose ist deutlich freier und sprachlich eleganter übersetzt als etwa das vierte Buch Mose.[11] Als nach Fertigstellung der fünf Bücher Mose die Übersetzung der anderen Bücher begann, hielten sich die Übersetzer im Allgemeinen enger an ihre Vorlagen.
Andererseits kann man viele Unterschiede zwischen der LXX und dem Masoretischen Text[12] (MT) nicht ausreichend mit verschiedenen Übersetzungsmethoden erklären. Sie gehen offenbar auf hebräische Vorlagen zurück, die uns heute aber nicht mehr zugänglich sind. Dazu kam, dass diese Vorlagen wie alle hebräischen und aramäischen Texte aus früh- und vorchristlicher Zeit ohne Vokalzeichen waren, sodass auch von daher Verständnisdifferenzen möglich waren. So kann der zweite Satzteil aus 1Mo 15,11: „Da stießen die Raubvögel auf die toten Tiere herab; aber Abram verscheuchte sie“ bei anderer Vokalisation verstanden werden: „aber Abram setzte sich neben sie“. Ähnlich ist es mit 1Mo 47,31: „Dann verneigte sich Israel ehrfürchtig zum Kopfende seines Bettes hin.“ Die hebräischen Konsonanten mth können als matteh = „Stab“ oder als mittah = „Bett“ verstanden werden. Der Übersetzer der LXX verstand das Wort als „Stab“ und so übernahm es auch der Hebräerbrief (11,21).
Die Tatsache, dass die LXX teilweise von hebräischen Texten übersetzt wurde, die nicht mit dem MT identisch sind, den wir heute verwenden, könnte zu Versuchen führen, den früheren hebräischen Text zu rekonstruieren, was in der Praxis aber mit erheblichen Schwierigkeiten und Unsicherheiten verbunden ist. Deshalb halten sich heutige Übersetzungen meist an den Masoretischen Text und verwenden den Wortlaut der LXX nur in Ausnahmefällen.
Üblicherweise werden alle Bücher des hebräischen Alten Testaments zur LXX gerechnet und dazu die Schriften, die Martin Luther „Apokrypha“, die „Verborgenen“, nannte und von denen er sagte: „Das sind Bücher, so der Heiligen Schrift nicht gleich gehalten und doch nützlich und gut zu lesen sind“. Dazu gehören die Bücher Judit, die Weisheit Salomos, Tobit, Sirach, Baruch, der Brief des Jeremias, 1.+2. Makkabäer, Stücke zu Ester und Zusätze zu Daniel.
Luther fügte in seiner Übersetzung von 1545 noch das Gebet Manasses bei, das er als Muster eines Buß- und Beichtgebets besonders schätzte, das aber nur in wenigen griechischen Bibelhandschriften überliefert ist.
Der Umfang der LXX ist aber nicht einheitlich gewesen. Schon die drei großen Majuskelhandschriften, die uns erhalten geblieben sind, enthalten außer den Büchern des hebräischen und des neutestamentlichen Kanon (wobei in den uns vorliegenden Exemplaren nicht alle biblischen Bücher erhalten geblieben sind) verschiedene apokryphe Schriften.
Der Codex Sinaiticus überliefert zum Beispiel das zweite Buch Esra, die Bücher Tobit und Judith, das erste und vierte Buch der Makkabäer, die „Weisheit Salomos“ und „Jesus Sirach“. Im Zusammenhang mit dem Neuen Testament überliefert er auch den Barnabasbrief und den „Hirt des Hermas“.
Der Codex Alexandrinus enthält den katholischen Kanon einschließlich der deuterokanonischen Bücher und darüber hinaus das dritte und vierte Makkabäerbuch. Zum Neuen Testament sind der Klemensbrief und der sogenannte zweite Klemensbrief (übrigens die einzige bekannte Kopie davon) beigefügt.
Der Codex Vaticanus enthält die Bücher Judit und Tobit, das Buch Baruch, den Brief des Jeremia, allerdings nicht das Gebet des Manasse oder die Makkabäerbücher. Es ist möglich, dass der erste Klemensbrief einmal dazugehörte.
-------------- Fußnoten --------------
[10] Michael Tilly, Einführung in die Septuaginta, Darmstadt 2005, S. 71.
[11] Wolfgang Kraus/Martin Karrer (Hrsg.) Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung. Stuttgart 2009.
[12] Besonders nach der Zerstörung des Tempels im Jahr 70 wuchs das Bedürfnis nach einem autoritativen Text des Alten Testaments. Bereits um 100 n.Chr. muss der Konsonantentext mithilfe der in Gebrauch befindlichen Bibelhandschriften fixiert worden sein. Einige Jahrhunderte später begannen jüdische Gelehrte, die Masoreten („Überlieferer“) diesen Standardtext mit Vokalzeichen und anderen Lesezeichen zu versehen, um die überlieferte Aussprache und den Textvortrag möglichst präzise festzulegen. Zugleich trafen sie pedantische Vorkehrungen gegen neue Abschreibfehler: Verse, Worte, ja selbst Buchstaben wurden gezählt. Das Ergebnis ihrer Arbeit ist der sogenannte „Masoretische Text“ (MT), der etwa im 9. Jh. n.Chr. fertig vorlag und seitdem nicht mehr verändert wurde.
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