Gott hat seine Botschaft den Menschen in drei verschiedenen Sprachen offenbart: in Hebräisch, Aramäisch und Griechisch. Das Alte Testament wurde ursprünglich auf Hebräisch niedergeschrieben – allerdings fünf Kapitel davon auf Aramäisch – und das Neue Testament komplett auf Griechisch.
Schon 250 Jahre vor Christus wurde das ganze Alte Testament ins Griechische übersetzt. Es entstand die sogenannte Septuaginta (LXX). Als dann das Neue Testament niedergeschrieben wurde, 350 Jahre später, also um das Jahr 100 n.Chr., lagen praktisch alle Bücher der Bibel in griechischer Sprache vor. Die ältesten bis heute nahezu vollständig erhaltenen griechischen Bibelhandschriften (Codizes), sind um das Jahr 350 n.Chr. aus Abschriften der Originale entstanden.
In dieser Zeit hatte sich in dem Vielvölkerstaat des westlichen Römischen Reichs Lateinisch als Amtssprache immer mehr durchgesetzt. Deshalb übersetzte man in verschiedenen Gegenden des Reichs Teile der griechischen Bibel ins Lateinische. Diese Übersetzungen (Vetus Latina) entstanden unabhängig voneinander und waren vor allem für das einfache Volk und den Gebrauch im Gottesdienst bestimmt. Im Jahr 382 n.Chr. erhielt Hieronymus, einer der besten Gelehrten der damaligen Zeit, den Auftrag, diese zahlreichen lateinischen Bibelübersetzungen durchgreifend zu revidieren und zu vereinheitlichen. Im Lauf seiner Übersetzungsarbeit entschloss er sich, das Alte Testament nicht mehr nach einer Übersetzung, also der LXX, zu übersetzen, sondern direkt aus der Originalsprache Hebräisch bzw. Aramäisch. Das stieß damals auf großes Unverständnis, betrachtete man doch die LXX als genauso inspiriert wie den hebräischen Grundtext.
Die lateinische Übersetzung des Hieronymus konnte sich zwar nur langsam durchsetzen, aber seit dem 8./9. Jahrhundert wurde sie im Westen als die einzig gültige Bibelübersetzung angesehen. Man nannte sie Vulgata, die im Volk verbreitete. Das blieb so bis in die Zeit Martin Luthers.
Durch Wulfila (gest. 383 n.Chr.) erhielten die Goten als erster germanischer Volksstamm eine Bibel in ihrer Muttersprache. In die Sprachen anderer germanischer Stämme wurden erst seit Karl d.Gr. (gest. 814 n.Chr.) Bibelteile für die missionarische Arbeit übersetzt. Es waren einige Psalmen und die Evangelien. Dann gab es erst im Lauf des 14. Jahrhunderts wieder Versuche, eine Art volkssprachlicher Laienbibeln zu veröffentlichen. Als dann der Buchdruck mit beweglichen Lettern aus Metall erfunden worden war (1450), wurde auch bald die erste deutsche Bibel von dem Straßburger Drucker Johann Mentel herausgegeben (1466). Diese sogenannte Mentelbibel stammte aus einer anonymen Übersetzung, bot aber einen Wortschatz, der 100 Jahre zuvor gebräuchlich war. Deshalb begann man bei späteren Nachdrucken ungebräuchliche Worte auszutauschen. Diese Bibel wurde insgesamt 14mal aufgelegt, zuletzt 1518, vier Jahre vor der Übersetzung des Neuen Testaments durch Martin Luther.
Insgesamt sind vor Luther 18 gedruckte deutsche Bibelausgaben in verschiedenen deutschen Sprachgebieten erschienen, dazu sechzig Teilbibeldrucke. Grundlage für all diese Bibelübersetzungen war immer die Vulgata. Die ersten Verse von Psalm 23 in der Mentelbibel lauteten so:
Der herr der richt mich und mir gebrase (mangelte) nit, und an der stat der weyde do satzt er mich. Er fuortte mich ob dem wasser der widerbringung, er bekert mein sel. Er fuort mich aus auf die steig der gerechtigkeit umb seinen namen.
Die damaligen Übersetzungen waren auch deswegen so holprig, weil man sich sklavisch an den lateinischen Text hielt. Schon Hieronymus hatte gemeint, dass man beim Übersetzen der Bibel die Wort-für-Wort-Methode verwenden müsse, weil die Anordnung der Wörter nicht nach menschlichem Verständnis erfolgt sei. Eine Änderung ihrer Reihenfolge würde das Mysterium der Heiligen Schrift zerstören.
Demzufolge hatte sich die katholische Kirche immer wieder gegen volkssprachliche Übersetzungen ausgesprochen, weil angeblich niemand übersetzen könne, ohne den Sinn des heiligen Textes zu verdrehen. Ja, sie hielt es fast für unmöglich, „die Mysterien der christlichen Religion“ in der primitiven Volkssprache wiederzugeben. Außerdem könnte das selbständige Lesen der Laien zur Folge haben, dass sie in die Irre gingen. Trotzdem gab es nie ein allgemeines Bibelverbot.
Außer dem unbeholfenen hölzernen Stil der Übersetzungen kam noch dazu, dass sie nur in dem eigenen Sprachgebiet einigermaßen verstanden wurden. Deshalb wurden sie auch kaum in Gebiete mit anderen Dialekten verbreitet. Eine gewisse Ausnahme war nur die Mentelbibel, die auch im ober- und mitteldeutschen Raum gelesen wurde.
Zur Zeit Luthers sprach man in Deutschland etwa 20 verschiedene Dialekte. Ganz grob lassen diese sich in zwei große Sprachgebiete teilen: das Oberdeutsch, das im Süden gesprochen wurde und das Niederdeutsch im Norden. Etwas Besonderes war das sogenannte Kolonisationsgebiet östlich der Elbe. Es war sprachlich durch das Zusammenströmen von Siedlern aus verschiedenen deutschen Landschaften gekennzeichnet. Durch den Zwang zur Verständigung glichen sich in diesem Gebiet die Dialekte an.
Der größte und einflussreichste ostdeutsche Territorialstaat zur Zeit Luthers war Sachsen. Und die Kanzleisprache dieses Kurfürstentums prägte die Schriftsprache. Luther drückte das 1532 in einer seiner Tischreden so aus:
Ich habe eine allgemein verständliche Sprache und keine besondere; daher kann man mich in Nieder- und Oberdeutschland verstehen. Ich rede nach der sächsischen Kanzlei, der alle deutschen Fürsten folgen.
Um eine Bibel sachgemäß übersetzen zu können, bedarf es zunächst einiger geistlicher Voraussetzungen. Luther drückte das in seinem Sendbrief vom Dolmetschen so aus:
Ach, es ist Dolmetschen keineswegs eines jeglichen Kunst, wie die tollen Heiligen meinen; es gehöret dazu ein recht fromm, treu, fleißig, furchtsam, christlich gelehret, erfahren, geübet Herz. Darum halt ich dafür, daß kein falscher Christ noch Rottengeist treulich dolmetschen könne.
Der Übersetzer muss also aus eigener Erfahrung wissen, wovon die Schrift redet. Er muss aus innerer Überzeugung Christ sein und die Bibel selbst gründlich kennen. Luther hatte schon als Novize im Kloster die Vulgata studiert und sich den Bibeltext so zu Eigen gemacht, dass er sowohl mit dem Inhalt als auch mit dem Fundort der Stellen gründlich vertraut war. Als er dann im Alter von 30 Jahren an der Wittenberger Universität als Inhaber der lectura in biblia mit biblischen Vorlesungen begann, vertiefte sich seine Bibelkenntnis weiter. Vor seinen Studenten legte er die Psalmen aus, dann den Römer-, Galater- und Hebräerbrief.
In diese Zeit fällt auch Luthers „Turmerlebnis“ 1515. Hier in seinem Arbeitszimmer empfing der 32-jährige endlich die Gewissheit, gerettet zu sein. Denn er fühlte sich bis dahin vor Gott als verlorener Sünder und war an der Gerechtigkeit Gottes verzweifelt. In der Vorrede zum ersten Band seiner lateinischen Schriften beschreibt er seine Suche später so:
Inzwischen war ich schon in diesem Jahr zum Psalter zurückgekehrt, um ihn von neuem auszulegen. Ich vertraute darauf, dass ich nun geübter sei, nachdem ich die Briefe des Sankt Paulus an die Römer und an die Galater und den Hebräerbrief in den Vorlesungen behandelt hatte …
Tag und Nacht dachte ich unablässig darüber nach, bis Gott sich meiner erbarmte und ich auf den Zusammenhang der Worte achtete, nämlich: Die Gerechtigkeit Gottes wird in ihm offenbar, wie geschrieben steht: Der Gerechte lebt aus Glauben. Da fing ich an, die Gerechtigkeit Gottes als die Gerechtigkeit zu verstehen, durch die der Gerechte als durch Gottes Geschenk lebt, nämlich aus dem Glauben …
Da fühlte ich, dass ich ganz und gar neugeboren und durch die geöffneten Pforten in das Paradies selbst eingetreten war. Ununterbrochen zeigte mir nun die ganze Heilige Schrift ein anderes Gesicht. Ich durchlief die Schriften, wie ich sie im Gedächtnis hatte, und fand auch bei anderen Wörtern einen entsprechenden Sinn; so bedeutet das Werk Gottes das Werk, das Gott in uns wirkt, Kraft Gottes die Kraft, durch die er uns kräftig macht, Weisheit Gottes die Weisheit, durch die er uns weise macht. (Ebenso ist es) mit Stärke Gottes, Heil Gottes und Herrlichkeit Gottes …
Neben dieser geistlichen Voraussetzung, benötigte Luther natürlich auch gründliche Sprachkenntnisse. Latein hatte er schon als Kind gelernt, als er mit fünf Jahren in die Lateinschule eintrat. Es war die Grundlage für alle weiteren Studien. Während seines Erfurter Klosteraufenthalts hatte er begonnen, sich für Hebräisch und Griechisch zu interessieren. So erwarb er bald das grundlegende Werk von Johannes Reuchlin, das eine hebräische Grammatik und Lexikon in sich vereinigte, und studierte es gründlich. Ein Jahr nach seinem Turmerlebnis begann er mit einem systematischen Studium des hebräischen Textes der Psalmen.
Im gleichen Jahr war die erste griechisch-lateinische Textausgabe des Neuen Testaments in Basel erschienen, die Erasmus erstellt hatte. Das war ein Werk von 1000 Druckseiten. Auf der jeweils rechten Seite war in zwei Spalten nebeneinander der Text des Neuen Testaments abgedruckt. Ganz rechts der verbesserte lateinische Text der Vulgata, links daneben der entsprechende griechische Text, den Erasmus aus verschiedenen griechischen Bibelhandschriften zusammengestellt hatte. Auf der jeweils linken Buchseite befanden sich die textkritischen Bemerkungen des Erasmus. Das Erscheinen dieses Werkes befruchtete Luthers Interesse für die griechische Sprache. Als sein Freund Melanchthon zwei Jahre später seine Berufung als Professor für Griechisch nach Wittenberg erhielt, widmete sich Luther eifrig dem Studium des Griechischen.
Eine dritte Voraussetzung für die spätere Bibelübersetzung war Luthers hervorragende dichterische und sprachliche Begabung. Wer Luthers Lieder, Gedichte, Tischreden, seine Katechismen und seine zahlreichen Traktate und Streitschriften in deutscher Sprache liest, bekommt einen Eindruck davon. Er war ein „Dichter und Sprachmeister von sonderlicher Gewalt“, wie es einmal ein Lutherforscher ausgedrückt hat.
Am 31. Oktober 1517 machte Luther seine 95 Thesen in lateinischer Sprache öffentlich. Er wollte darüber mit seinen Kollegen von der Universität disputieren. Doch es fand sich keiner dazu. Luthers Studenten allerdings übersetzten die Thesen ins Deutsche und schon 14 Tage später wurden sie in Nürnberg gedruckt und verbreiteten sich im ganzen deutschen Sprachgebiet. Gleich darauf wird Luther von den Dominikanern der Ketzerei angeklagt. Es folgen verschiedene Disputationen in Heidelberg, Augsburg, Leipzig. Im Rückblick auf Leipzig bekennt Luther später in der Vorrede zu Band 1 seiner lateinischen Werke:
Ich selbst hatte damals die Heilige Schrift aufs Sorgfältigste für mich persönlich und öffentlich gelesen und sieben Jahre lang gelehrt, sodass ich fast alles auswendig wusste; ich hatte ferner die ersten Anfänge der Erkenntnis und des Glaubens an Christus eingesogen, dass wir nämlich nicht durch Werke, sondern durch den Glauben an Christus gerecht und selig werden.
Es folgen die drei reformatorischen Kampfschriften von 1520, die Verbrennung der Bannbulle und Luthers Verantwortung vor dem Kaiser auf dem Reichstag in Worms. Dort wird die Reichsacht über ihn verhängt. Der Kaiser gewährt ihm noch 21 Tage freies Geleit, dann ist er vogelfrei. Auch seine Anhänger verfallen der Acht. Niemand darf seine Schriften mehr lesen, drucken oder verbreiten. Auf der Rückreise von Worms wird Luther am 4. Mai 1521 überfallen – er wusste davon – und heimlich auf die Wartburg gebracht.
Seine Überzeugungen hatte Luther aus dem Studium der Heiligen Schrift gewonnen. Seit nunmehr zwei Jahren verfocht er öffentlich den Grundsatz von der Alleingültigkeit der Heiligen Schrift als höchster Autorität in allen Fragen des Glaubens. So war der Gedanke nach einer neuen und wirklich guten Bibelverdeutschung nicht mehr fern. Auch durch Luthers deutsche Streit- und Erbauungsschriften, die vielfach gedruckt und gelesen wurden, kam bei vielen frommen Menschen der Wunsch nach eigener Bibellektüre auf.
Luther hatte bereits einige Texte aus dem Alten und Neuen Testament, die er für seine anderen Schriften oder auch Predigten brauchte, übersetzt. Schon vier Jahre zuvor war eine Übersetzung und Erklärung der sieben Bußpsalmen gedruckt worden. Aber in seiner ersten Zeit auf der Wartburg dachte er nicht an eine Bibelübersetzung. Dort entstand neben verschiedenen Briefen zunächst eine andere wichtige Schrift auf Lateinisch, nämlich seine Absage an die Mönchsgelübde.
Vom 4.-9. Dezember 1521 machte Luther einen heimlichen Besuch in Wittenberg. Er wohnte in den drei Tagen bei seinem Freund Melanchthon, der ihn dringend nötigte, das Neue Testament zu übersetzen. Es musste eine Gesamtübersetzung an die Stelle der verstreuten Einzelübersetzungen treten. Besonders wichtig erschien eine zuverlässige und verständliche Übersetzung der Paulusbriefe, damit die Lehre von der Rechtfertigung aus Glauben nicht verdreht würde.
So begann Luther gleich nach seiner Rückkehr auf die Wartburg mit dieser Arbeit. Als Grundtext stand ihm die zweite Auflage des gedruckten griechisch-lateinischen Neuen Testaments von Erasmus mit den lateinischen Erklärungen zur Verfügung. So konnte Luther die lateinische Übersetzung des Erasmus sorgfältig mit dem griechischen Grundtext vergleichen, nach dem er sich hauptsächlich richtete. Luther, damals 38 Jahre alt, vollendete die Arbeit in nur 11 Wochen.
In der Zwischenzeit war es in Wittenberg zu schwärmerisch-revolutionären Unruhen gekommen. Die Nachrichten davon machten Luther sehr zu schaffen, sodass er es nicht länger auf der Wartburg aushielt. Am 6. März 1522 traf er wieder in Wittenberg ein. Seine acht Predigten, von denen er die erste am 9. März, dem Sonntag Invocavit, hielt und anschließend jeden Tag eine, konnten zur Beruhigung beitragen.
Gleich danach begann er mit der Vorbereitung zur Drucklegung seiner Übersetzung. Das heißt, er arbeitete zusammen mit seinem Freund Melanchthon das gesamte Manuskript noch einmal durch. So wanderte der Text Stück für Stück in die Druckerei. Das hielt man allerdings geheim, um Diebstahl und vorzeitige fremde Nachdrucke zu verhüten. Die Drucklegung dauerte insgesamt fünf Monate. Im September schließlich war das Neue Testament fertig gedruckt und konnte rechtzeitig zur Leipziger Herbstmesse vorgestellt werden. In Voraussicht eines guten Absatzes begannen die Drucker sofort mit der nächsten Auflage, in die Luther schon einige kleine Verbesserungen eingefügt hatte, und die Anfang Dezember fertiggestellt war. Inzwischen hatten sich andere Drucker des Septembertestaments bemächtigt, denn einen Schutz des Urheberrechts gab es noch nicht. So erschienen allein im Jahr 1523 zwölf vollständige Nachdrucke davon.
Noch vor der Fertigstellung des Drucks vom Septembertestament hatte Luther mit der Übersetzung des Alten Testaments begonnen. Diese Arbeit war aber weit schwieriger und beschäftigte Luther und seine Freunde ganze zwölf Jahre. Mit den fünf Büchern Mose (Juli 1523 gedruckt) und den historischen Büchern Josua bis Ester (Januar 1524 gedruckt) kamen die Freunde noch zügig voran. Dann aber wurde es schwierig. In einem Brief an Spalatin klagte Luther, dass Hiob „unserer Übersetzung viel unzugänglicher zu sein scheine als dem Trost der (d.h. Hiobs) Freunde“. Und in seinem Sendbrief vom Dolmetschen:
Und ist uns sehr oft begegnet, daß wir vierzehn Tage, drei, vier Wochen haben ein einziges Wort gesucht und gefragt, haben's dennoch zuweilen nicht gefunden. Im Hiob arbeiteten wir also, Magister Philips, Aurogallus und ich, daß wir in vier Tagen zuweilen kaum drei Zeilen konnten fertigen.
In einem Brief an Wenzeslaus Link schrieb er:
Wir mühen uns jetzt ab, die Propheten zu verdeutschen. Was ist das für ein großes, beschwerliches Werk, die hebräischen Schriftsteller zu zwingen, deutsch zu reden. Wie sträuben sie sich, da sie ihre hebräische Ausdruckweise nicht verlassen und sich dem groben Deutsch nicht anpassen wollen, gleich, als ob man eine Nachtigall zwänge, den Kuckuck nachzuahmen.
Vor allem in zwei Schriften gibt Luther Auskunft über seine Art und Weise zu übersetzen. Den Sendbrief vom Dolmetschen verfasste er im Jahr 1530 auf der Feste Coburg. Das war vor allem eine vehemente und polemische Verteidigung seiner Übersetzungsweise gegen seine Kritiker. Es ist aber die erste theoretische Abhandlung über Prinzipien des Übersetzens, die es überhaupt gibt.
Ich hab mich des beflissen im Dolmetschen, daß ich rein und klar Deutsch geben möchte … Man muß nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprache fragen, wie man soll deutsch reden, sondern man muß die Mutter im Haus, die Kinder auf der Gasse, den gemeinen Mann auf dem Markt drum fragen und denselbigen aufs Maul sehen, wie sie reden, und danach dolmetschen, so verstehn sie es denn und merken, daß man deutsch mit ihnen redet.
Die zweite Schrift begann Luther 1531 und vollendete sie 1533: Summarien über die Psalmen und Ursachen des Dolmetschens. Hier schreibt Luther:
Wer deutsch reden will, der muss nicht der hebräischen Wort’ Weise führen, sondern muss darauf sehen, wenn er den hebräischen Mann verstehet, dass er den Sinn fasse und denke also: Lieber, wie redet der deutsche Mann in solchem Fall? Wenn er nu die deutschen Wort hat, die hierzu dienen, so lasse er die hebräischen Wort fahren und sprech frei den Sinn heraus aufs beste Deutsch, so er kann.
3.2.1 Luther übersetzte meist sinngemäß und nicht ganz wörtlich
Seine Kritiker nennt er darum „Buchstabilisten“ und oft genug „Esel“. So verteidigt er in Rö 3,28 das Wort „allein“, das er zur Verdeutlichung hinzugefügt hat.
Ebenso habe ich hier, Römer 3, sehr wohl gewußt, daß im lateinischen und griechischen Text das Wort "solum" nicht stehet und hätten mich solches die Papisten nicht brauchen lehren. Wahr ist's: Diese vier Buchstaben s-o-l-a stehen nicht drinnen, welche Buchstaben die Eselsköpf ansehen wie die Kühe ein neu Tor, sehen aber nicht, daß es gleichwohl dem Sinn des Textes entspricht, und wenn man's will klar und gewaltiglich verdeutschen, so gehöret es hinein.
Psalm 63,6 hatte Luther in der ersten Druckfassung 1524 noch so übersetzt:
Laß meine Seele voll werden / wie mit Schmalz und Fettem, / daß mein Mund / mit fröhlichen Lippen rühme.
1531 klingt es aber so:
Das wäre meines Herzens / Freude und Wonne, / wenn ich dich / mit fröhlichem Munde / loben kann.
Und er verteidigt diese Übersetzung im Sendbrief vom Dolmetschen:
Wenn ich den Eseln soll folgen, sie werden mir die Buchstaben vorlegen und so dolmetschen: Aus dem Überfluss des Herzens redet der Mund. Sage mir, ist das deutsch geredet? Welcher Deutsche verstehet solches? Was ist Überfluss des Herzen für ein Ding? Das kann kein Deutscher sagen, es sein denn, er wollte sagen, es bedeute, daß einer ein allzu groß Herz habe oder zuviel Herz habe; wiewohl das auch noch nicht recht ist, denn Überfluss des Herzens ist kein Deutsch, so wenig als das Deutsch ist: Überfluss des Hauses, Überfluss des Kachelofens, Überfluss der Bank, sondern so redet die Mutter im Haus und der gemeine Mann: Wes das Herz voll ist, des gehet der Mund über. Das heißt gutes Deutsch geredet, des ich mich beflissen und leider nicht allwege erreicht noch getroffen habe.
Luther wollte eine Übersetzung schaffen, die nicht nur den Sinn genau wiedergab, sondern zum Beispiel auch fremde Münzbezeichnungen in vergleichbare wertentsprechende deutsche umwandelte. Namen und Farbe von Edelsteinen in der Offenbarung versuchte er anhand von Anschauungsmaterial aus der fürstlichen Schatzkammer richtig wiederzugeben. Sein Anliegen war, den Bibeltext in eine wirklich deutsche Form umzugießen.
3.2.2 Wenn die Sache es erforderte, übersetzte Luther wörtlich
Auch das erklärt er schon im Sendbrief vom Dolmetschen:
Doch hab ich wiederum nicht allzu frei die Buchstaben lassen fahren, sondern mit großer Sorgfalt samt meinen Gehilfen darauf gesehen, so daß, wo es etwa drauf ankam, da hab ich's nach den Buchstaben behalten und bin nicht so frei davon abgewichen; wie Johannes 6, wo Christus spricht: "Diesen hat Gott der Vater versiegelt." Da wäre wohl besser Deutsch gewesen: Diesen hat Gott der Vater gezeichnet, oder, diesen meinet Gott der Vater. Aber ich habe eher wollen der deutschen Sprache Abbruch tun, denn von dem Wort weichen.
Ein schönes Beispiel dafür ist Psalm 68,19, den er schon seit 1522 so übersetzt hat: „Du bist in die Höhe gefahren und hast das Gefängnis gefangen.“ Er erklärt in den Summarien über die Psalmen:
„Hie wäre es wohl gut Deutsch gewesen: ‚und hast die Gefangenen erlöset‘. Aber es ist zu schwach und gibt nicht den feinen, reichen Sinn, welcher in dem Hebräischen ist, das es sagt: ‚Du hast das Gefängnis gefangen.‘ Welches nicht allein zu verstehen gibt, das Christus die Gefangenen befreit hat, sondern auch das Gefängnis also weggeführt und gefangen, daß es uns nimmermehr wiederum fangen kann noch soll, und ist so viel wie eine ewige Erlösung , daß uns der Tod nicht mehr halten, die Sünde nicht mehr beschuldigen, das Gesetz nicht mehr das Gewissen strafen kann … Darum müssen wir zum Trost unsers Gewissens solche Wort’ beibehalten, uns an sie gewöhnen und also der hebräischen Sprache Raum lassen, wo sie es besser macht, als unsre deutsch tun kann.“
Es gab für Luther also eine klare Grenze. Auch wenn eine deutsche Form noch so gut gelungen war, verwarf er sie trotzdem, wenn sie sich gar zu frei vom Grundtext entfernte und dessen Sinn nicht genau wiedergab.
Wie oben schon bei Ps 63,6 gab sich Luther keineswegs mit der Erstfassung seiner Übersetzung zufrieden, sondern arbeitete bis zu seinem Tod immer wieder an Verbesserungen. Das steht übrigens ganz im Gegensatz zu seinen eigenen Schriften, wo er das nur selten tat. Schön beobachten lassen sich Luthers Revisionen bei den Psalmen, wo auch die Poesie zum Ausdruck kommen sollte. So lautet Psalm 90,12 in handschriftlicher Fassung 1524:
Daß wir unser Tage zählen, / so tu uns kund; / so wollen wir kommen / mit weisem Herzen.
Die erste Druckfassung von 1524:
Laß uns wissen / die Zahl unser Tage, / daß wir eingehen / mit weisem Herzen.
Die revidierte Fassung ab 1531:
Lehre uns bedenken, / daß wir sterben müssen, / auf daß wir klug werden.
Der bekannte Psalm 23 lautete in Luthers Handschrift:
Der Herr ist mein Hirte, / mir wird nichts mangeln. / Er läßt mich weiden / in der Wohnung des Grases / und nähret mich am Wasser / guter Ruhe. / Er kehret wieder meine Seele, / er führet mich auf den / rechten Pfad / umb seins Namens willen.
Im Erstdruck der Psalmen von 1524 hieß es schon:
Der Herr ist mein Hirte, / mir wird nichts mangeln, / Er läßt mich weiden, / da viel Gras steht, / und führet mich zum Wasser, / das mich erkühlet. / Er erquicket meine Seele, er / führet mich auf rechter Straße / umb seins Namens willen.
Erst in der Psalmenrevision von 1531 klingt es fast schon so wie heute:
Der Herr ist mein Hirte, / mir wird nichts mangeln. / Er weidet mich / auf einer grünen Auen / und führet mich / zum frischen Wasser. / Er erquicket meine Seele, / er führet mich auf rechter Straße / umb seines Namens willen.
Vom 17. Juli 1539 bis zum Sommer 1541 sah Luther zusammen mit seinen gelehrten Freunden noch einmal die ganze Bibel durch. Wöchentlich kamen sie vor dem Abendessen einige Stunden in „Doktors Kloster“ zusammen. Sie hatten verschiedene deutsche und lateinische Übersetzungen dabei und natürlich die griechischen und hebräischen Bibeltexte.
Im März 1545, ein knappes Jahr vor seinem Tod, erschien die zehnte hochdeutsche Bibelausgabe in Wittenberg, die noch eigene Korrekturen von Luther enthält.
Weil die Übersetzung des Alten Testaments (einschließlich der Apokryphen) so lange dauerte, entstand – auch aus kommerziellen Gründen – der Wunsch, die Bibel nun endlich komplett drucken zu können. Schon 1527 war in Worms eine recht erfolgreiche Prophetenübertragung erschienen, zwei Jahre später eine in Zürich. Ein anderer Züricher Theologe hatte inzwischen die Apokryphen ins Deutsche übersetzt. Daraus ergab sich die Möglichkeit, zusammen mit den bereits veröffentlichten Teilen der Lutherbibel, die man kurzerhand nachdruckte und den von anderen übersetzten Teilen eine Kombibibel zusammenzustellen.
Solch eine kombinierte Bibel erschien 1529 in Worms, eine andere 1530 in Zürich und eine dritte in Straßburg. Angesichts dieser Konkurrenz war es für den Wittenberger Buchhandel dringend notwendig, dass die Propheten und auch die Apokryphen fertig gedruckt wurden. Am 1. April 1534 erschien endlich eine erste Lutherbibel in niederdeutscher Übertragung und im September die erste Wittenberger Vollbibel im damaligen Hochdeutsch.
Wichtig ist noch die Ausgabe von 1541, die als erste Ausgabe den vollen Ertrag der kurz zuvor abgeschlossenen Revision enthielt, dazu verschiedene Vorreden des Reformators. Dort ließ Luther auch eine zweiseitige Warnung abdrucken, die sich gegen die üblen Praktiken der Nachdrucker wandte. Denn diese schädigten durch ihre Plagiate nicht nur das Wittenberger Gewerbe, sondern richten auch in ihrer durch Habgier verursachten Hast viel Schaden an, indem sie
wenig darnach fragen, wie recht oder falsch sie es hinnach drucken.
Eines der Ziele, die Luther mit seiner Übersetzung anstrebte, war Allgemeinverständlichkeit. Die war im Oberdeutschen Raum zunächst noch nicht gegeben. Deswegen gab der Baseler Drucker Adam Petri in seinem zweiten Nachdruck des Neuen Testaments vom März 1523 ein alphabetisch geordnetes Glossar bei, das etwa 200 Wörter umfasste. Das wurde von insgesamt 13 Drucken insgesamt fast 40mal nachgedruckt. Andere oberdeutsche Drucker ersetzten unverständliche Lutherwörter direkt im Bibeltext durch in der Gegend gebräuchliche Ausdrücke.
Ohne Zweifel hat die Lutherbibel die deutsche Sprache geprägt. Bestimmte Redewendungen wären uns gar nicht bekannt wie Hochmut kommt vor dem Fall (Spr 16,18), wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein (Pred 10,8), wes das Herz voll ist, des geht der Mund über (Mt 12,34), ein Herz und eine Seele (Apg 4,32), dienstbare Geister (Hebr 1,14), den Staub von den Füßen schütteln (Mt 10,14) usw.
Auch Begriffe wie Lückenbüßer, friedfertig, wetterwendisch, Machtwort, Langmut, Lästermaul, Morgenland, Feuereifer, Rüstzeug, Denkzettel, Schauplatz wären uns fremd. Das Wort Pfaffe wurde erst durch Luther negativ besetzt. Für seine Zeitgenossen war das ganz wertfrei ein Weltgeistlicher. Ebenso: Götze, das war ein Heiligenbildchen. Beruf hat Luther dagegen aus dem religiösen Bereich (Berufung) in den Alltag übernommen, denn man kann auch in der Berufsarbeit Gott wohlgefällig leben. Andererseits kam fromm (gut, tüchtig) durch ihn aus dem weltlichen in den kirchlichen Bereich.
Auch nach dem Tod Luthers brach die Nachfrage nach Lutherbibeln keineswegs ab. Die Lutherbibel wird bis heute millionenfach gedruckt und mit mehr oder weniger vorsichtigen Revisionen dem heutigen Sprachgefühl angepasst.
Quellen
D. Martin Luther. Die gantze Heilige Schrifft Deudsch. Wittenberg 1545. Letzte zu Luthers Lebzeiten erschienene Ausgabe. Herausgegeben von Hanz Volz unter Mitarbeit von Heinz Blanke. Textredation Friedrich Kur. Edition Lemperts Bonn 2004.
--- Anhang und Dokumente: Darin: Der erste Teil von Summarien über die Psalmen und Ursachen des Dolmetschens. Mart. Luther (Wittenberg 1533)
--- Sendbrief vom Dolmetschen (1530). http://www.sochorek.cz/archiv/werke/luther.htm
--- Vorrede zum 1. Band der Gesamtausgabe von Luthers lateinischen Werken, Wittenberg 1545. http://www.gemeindehilfsbund.de/seelsorge-und-beratung/frieden-mit-gott-finden/64-turmerlebnis.html
Jochen Klein. Übersetzungstheorie und Praxis anhand der Lutherbibel. Juli 1998. www.jochenklein.de/.../Luthers_Uebersetzungstheorie_und_-praxis.pdf (17.12. 2015)
Heike Reissig. Luthers Sendbrief: Lust und Frust des Übersetzens. https://bonalingua.wordpress.com/2013/07/24/luthers-sendbrief/ Dezember 2014
Armin Sierszyn. 2000 Jahre Kirchengeschichte. Reformation und Gegenreformation (Band 3) Holzgerlingen: Hänssler 2000.
Hartmut Günther. Wem hat Luther "aufs Maul geschaut“? - Luthers Einfluss auf die Sprache. Interview mit dem Sprachforscher. http://www.luther2017.de/22617/wem-hat-luther-aufs-maul-geschaut%E2%80%9C-luthers-einfluss-auf-die-sprache . Dezember 2014
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