Die Geschichte ist kurz, aber weltbekannt. Und sie hatte tödliche Folgen. Zwei Brüder bringen Gott ein Opfer, das eine nimmt Gott an, das andere nicht. Kain, dessen Opfer nicht beachtet wurde, gerät deshalb in heftigen Zorn und erschlägt kurz danach seinen Bruder Abel.
Auf die Frage nach dem Warum begegnen uns hauptsächlich zwei Antworten:
- Es lag vor allem an der Art des Opfers: Abel opferte ein Lamm und Kain nur Feldfrüchte.
- Es lag allein an der inneren Haltung der Opfernden: Abel tat es aus Glauben, Kain aus einem Wesen voller Bosheit.
Beide Antworten werden mit der Bibel begründet, aber nicht immer sachgerecht.
Argumente für Antwort 1
- Allein an der Art der Opfer entzündet sich Gottes Wohlwollen oder Ablehnung. Abel erbringt ein blutiges Opfer (Erstling der Herde), Kain dagegen ein unblutiges Opfer (Früchte des Feldes). Was ein richtiges und was ein falsches Opfer ist, sollte sich später im Gesetz des Mose zeigen und wird hier bereits vorweggenommen. [Markus Sigloch]
- Kain steht für den selbstgerechten Menschen, der meint, des Blutes nicht zu bedürfen. Abel glaubte an das stellvertretende Opfer (Hebr 11,4). Gott hatte den Erdboden verflucht, aber Kain opferte die Frucht des Erdbodens. [Arno C. Gaebelein]
- Stichpunkt der Schrift ist, dass die Blutleere ein Problem war. Das zeigt sich im Hebräerbrief. Durch Glauben brachte Abel ein besseres Opfer dar als Kain (Hebr 11,4). Das Blut des Messias, das besser redet als das Blut Abels (Hebr 12,24). Die klare Betonung liegt hier auf dem Blut, nicht nur auf der Einstellung. [Arnold G. Fruchtenbaum]
- Dass Abels Opfer blutig war, schließt man daraus, dass nach 1Mo 4,4 Abel von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett (dem besten Teil des Tieres) opferte.
Gegenargumente:
- Die Opfernden konnten noch nicht wissen, was ein richtiges oder ein falsches Opfer war. Die Opfergesetze wurden Israel erst 2728 Jahre später gegeben. Dass diese hier vorweggenommen seien, sagt die Schrift nicht.
- Dass Kain symbolisch für den selbstgerechten Menschen steht, ist keine biblische Aussage. Auch Hebr 11,4 sagt nur, dass Abel Gott glaubte. Vom stellvertretenden Opfer steht an dieser Stelle nichts. – Gott hatte den Erdboden verflucht, sodass er zusätzlich zur Frucht Dornen und Disteln hervorbrachte, die dem Menschen viel Arbeit machen würden (1Mo 3,17). Die Frucht selbst wurde nicht verflucht.
- Abels besseres Opfer in Hebr 11,4 gründet sich allein auf seinen Glauben, nicht auf Blut. Das Blut Abels, das in Hebr 12,24 erwähnt wird, meint nicht das Tierblut, das nach Meinung des Auslegers Abel vergossen hatte, sondern das Blut Abels, das nach seiner Ermordung zu Gott schrie (1Mo 4,10).
- Blut wird in 1Mo 4,3-5 überhaupt nicht erwähnt. Der hebräische Begriff für Opfer (minchah), der in diesen Versen sowohl bei Kains als auch bei Abels Opfer gebraucht wird, meint eindeutig ein unblutiges Opfer, eine Gabe, ein Geschenk. Später in der Gesetzgebung Israels wird dieser Begriff nur für das Speisopfer gebraucht. Von einem Schlachtopfer (zebach) ist in 1Mo 4 nicht die Rede.
Argumente für Antwort 2
- Die Handlungen von Kain und Abel drücken sehr wohl ihre innere Haltung aus. Kain brachte irgendwelche Früchte vom Ertrag seines Feldes, Abel jedoch brachte das Beste (das Fette) von den erstgeborenen Lämmern (den Erstlingen) seiner Herde.
- Die Art ihrer Opfer ergab sich einfach aus ihrem Beruf und war keine Wertung. Der eine war Landwirt, der andere Schafhirt.
- Die biblische Erklärung, warum Gott die Gaben Abels als das bessere Opfer angenommen hatte, war Abels Glaube, sein Vertrauen zu Gott (Hebr 11,4).
- Durch seinen Glauben erlangte Abel die Gerechtigkeit, mit der er vor Gott bestehen konnte (Hebr 11,4). Auch in 1Joh 3,12 und Mt 23,35 wird er als gerecht bezeichnet.
- Kains Werke waren böse, die seines Bruders aber gerecht (1Joh 3,12). Das Böse hatte Kains Herz besetzt (1Mo 4,5-7). Deshalb kam es auch zu der schrecklichen Tat des Brudermords.
Mögliches Gegenargument:
- Dass Abel auch von den Erstlingen seiner Herde brachte könnte man so verstehen, dass auch Kain Erstlingsfrüchte brachte, obwohl das nicht extra erwähnt wird. – Die Formulierung „und von ihrem Fett“ (1Mo 1,4) kann man eventuell auch auf Fettstücke beziehen, was dann eine Schlachtung voraussetzt.
Das Ergebnis:
Die inspirierte Auslegung der biblischen Autoren erwähnt in Bezug auf das erste Opfer in der Menschheitsgeschichte kein Blut, obwohl dies viel später bei den Opfern Israels und auch beim Opfer unseres Herrn Jesus Christus wichtig war. Abel wurde allein aufgrund seines Glaubens, also seiner Beziehung zu Gott, für gerecht erklärt. Und dadurch redet er noch heute zu uns.
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