Vor einiger Zeit bekam ich eine E-Mail mit der Frage nach den widersprüchlichen Aussagen von 1Sam 15,11 und 15,29.

In V. 11 sagt Gott: „Es reut mich, dass ich Saul zum König gemacht habe“. Und V. 29 sagt Samuel: „Denn nicht ein Mensch ist er, dass ihn etwas gereuen könnte.“ 

Der Frager schrieb unter anderem: 

"Es geht mir nicht darum, Widersprüche in der Bibel zu finden. Aber beim Lesen stoße ich immer wieder auf Widersprüche, und ich frage mich, ob man nicht besser Ungereimtheiten in den biblischen Aussagen als solche anerkennen sollte, statt zu versuchen, sie ‚wegzuerklären’." 

Er verstand das dann aber so, dass Samuel hier mit seiner Meinung falsch lag. – Damit sind wir schon mitten im Problem.

Auch Gerhard Hörster, langjähriger Rektor des FEG-Seminars in Ewersbach, geht in seinem Buch „Markenzeichen bibeltreu“ davon aus, dass die Bibel gar nicht widerspruchsfrei sein wolle:
„Die Lehre von der Irrtumslosigkeit der Bibel in allen ihren Aussagen ist als Schutz gedacht, scheitert aber an der realen Gestalt der Bibel. Ich meine jene Lehre, die behauptet, die Bibel sei in ihren ursprünglichen Dokumenten ohne Irrtum und Widerspruch in allen ihren Aussagen.“
Verstehen also nur diejenigen die Bibel richtig, die Ungereimtheiten, Fehler und Widersprüche als die „reale Gestalt der Bibel“ hinnehmen, denn
„Es geht ja um die Beziehung zu dem lebendigen Gott - und nicht um sachliche Richtigkeiten.“ (Hörster)
Diese Haltung breitet sich derzeit im evangelikalen Umfeld immer mehr aus. Was sollen wir tun?
Sollen wir die sogenannten „Ungereimtheiten“ einfach aushalten?

Wenn aber Samuel sich in V. 29 geirrt hat, weshalb sollte er sich nicht auch in V. 11 geirrt haben? Denn vielleicht war er es ja selbst oder jedenfalls ein menschlicher Verfasser, der dann auch die Rede Gottes in V. 11 aufgeschrieben hat. Das heißt aber: Wenn die menschlichen Verfasser der Bibel sich über das Wesen Gottes geirrt haben, dann kann ich auch nicht sicher über eine Beziehung zu diesem Gott sein.

Noch einmal: Wenn man die Bibel nicht als zuverlässiges Wort Gottes annimmt, kann man auch nicht wirklich an Jesus glauben, es sei denn man glaubt an einen Fantasie-Jesus und nicht an den, von dem die Bibel spricht.
Unser Thema ist schon von einiger Brisanz. Ich möchte zuerst etwas vom dem Konflikt zwischen Glaube und Verstand deutlich machen, zweitens will ich über das Geschenk und die Grenzen der Logik sprechen, drittens über Typen scheinbarer Widersprüche in der Bibel. Und zum Schluss möchte ich vorschlagen, wie wir mit Widersprüchen umgehen sollten und können.

Es gibt ja keinen Menschen, der nicht irgendetwas glaubt, oder von irgendetwas überzeugt ist oder zumindest eine Voreingenommenheit hat. Gewöhnlich geht man von diesem Glauben oder dieser Voreingenommenheit aus und benutzt dann seinen Verstand, um diese mit vielen Argumenten zu bestätigen.
Beschränken wir uns auf die Bibel.

(Fall 1) Es gibt viele Menschen, die die Bibel nur für ein religiöses Buch unter vielen anderen halten, das ganz den Irrtümern seiner Zeit und seiner Verfasser ausgeliefert war. Diese Haltung ist inzwischen der Mainstream in der sogenannten wissenschaftlichen Theologie und dem, was man dort Bibelwissenschaft nennt.
Wenn solch ein Mensch die Bibel liest, wird er eine Menge Fehler und Ungereimtheiten entdecken, weil er glaubt, dass sein Wissen umfassender ist als das der biblischen Verfasser und er deshalb über sie und ihre Aussagen urteilen kann. Er glaubt nicht an Wunder oder echte Prophetie, oder daran, dass Gott Mensch wurde. Ausgangspunkt ist der sogenannte wissenschaftliche Zweifel.

(Fall 2) In Deutschland ist die religiöse Bildung, zum Beispiel der Religionsunterricht in den Schulen, theologische Grundkurse für Laien und das Theologiestudium fast gänzlich von den eben genannten Lehren dominiert.
Wenn nun ein Schüler aus christlichem Elternhaus kommt, sich vielleicht auch schon bekehrt hat, wird er dennoch von diesen Theorien, zum Beispiel denen der Quellenscheidung, angesteckt und den scheinbaren Indizien dafür. Dadurch kommt er mit seinem Denken in Probleme, weil er die alternativen Denkmöglichkeiten gar nicht kennt. Sie werden ihm von seinen Lehrern gewöhnlich auch nicht vorgestellt. Denn für diese gibt es keine echte Alternative zu ihren Theorien.

(Fall 3) Ich bin mit vielen anderen Christen von der Einheit und inneren Übereinstimmung der Bibel überzeugt. Das heißt, ich gehe immer davon aus, dass die Aussage eines biblischen Textes wahr ist und dass angebliche Fehler und Widersprüche den Wahrheitsanspruch der Bibel nicht hinfällig machen, auch wenn sie bis jetzt noch nicht gelöst worden sind.
Natürlich stoße ich auch selbst auf Widersprüche im Bibelstudium. Aber ich versuche nicht, mich zum Richter über die Schrift zu machen, sondern halte es mit Gerhard Maier, der schon in einem seiner ersten Bücher (Das Ende der historisch-kritischen Methode 1974) von der Demut als der richtigen methodischen Konsequenz schrieb.
Es ist allerdings interessant, dass die vorhin genannten evangelikalen Bibelkritiker gerade ihre Haltung als demütig bezeichnen. Sie behaupten: Wer die Irrtumslosigkeit der Bibel vertritt, ist gerade nicht bibeltreu. Denn er unterstellt der Bibel etwas und fordert von ihr, was sie nicht geben will und kann. So entwickelte Heinzpeter Hempelmann eine „Hermeneutik der Demut“. Und er sagt
"Wenn ich manche Positionen fundamentalistischer Freunde nicht übernehmen kann, dann nicht deshalb, weil ich weniger bibeltreu als sie wäre, sondern weil sie m.E. nicht bibeltreu (genug) sind."
Natürlich stimmt es, dass einige Christen, die sich für konservativ und bibeltreu halten, in Wirklichkeit arrogant und besserwisserisch auftreten und das gewöhnlich umso lauter je weniger sie Bescheid wissen. Ich halte es da lieber mit Gerhard Maier, der in dem genannten Buch schrieb:
Wir verzichten darauf, mehr zu sagen als wir ehrlicherweise können. Das bedeutet ferner: wir haben verschiedene Angaben ohne Nachhilfeunterricht an den Aposteln stehen zu lassen und bis auf weiteres zu ertragen. Wir müssen allerdings klar sagen, dass nach dem Grundsatz „Schrift ist mit Schrift zu erklären“ die äußerste Mühe entsprechend den uns geschenkten Gaben eingesetzt werden muss, um gegenseitige Übereinstimmung zu entdecken. Die oft sadistische Lust an der Herausarbeitung von Widersprüchen hat keinen Anhalt an der biblischen Methode. (S.70f)
Dass sich unser Denken gegen das Akzeptieren von (vermeintlichen) Widersprüchen sträubt, ist zunächst aber nicht Ausdruck eigensinniger Rebellion, sondern in einer Ordnung, einer logischen Struktur begründet, die Gott in die Schöpfung hineingelegt hat. Wir brauchen diese EntwederoderStruktur für viele alltägliche Zusammenhänge und verwenden das automatisch auch bei Bibeltexten. Damit erheben wir nicht – wie uns oft unterstellt wird – den philosophischen Maßstab des Griechen Aristoteles über die Bibel, sondern benutzen das, was Gott in die Schöpfung und in unser Denken hineingegeben hat.[1]

 

Zu den bekanntesten Grundregeln der klassischen Logik zählen der "Satz vom Widerspruch" und der "Satz vom ausgeschlossenen Dritten".

(1) Der Satz vom Widerspruch: A ist nicht Nicht-A. Das heißt, einander entgegengesetzte Aussagen (bezogen auf denselben Gegenstand und denselben Zeitpunkt) widersprechen sich, sie können nicht gleichzeitig wahr sein. Beispiel:

  • Hans saß heute früh um 9 Uhr noch in seinem Bett.
  • Hans saß heute früh um 9 Uhr noch im Konzertsaal.

(2) Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten besagt: A ist entweder gleich B oder gleich Nicht-B. Eine dritte Möglichkeit gibt es nicht. A muss entweder B oder das Gegenteil von B sein.

  • Hans saß heute früh um 9 Uhr noch in seinem Bett. (B)
  • Hans saß heute früh um 9 Uhr nicht in seinem Bett. (Nicht-B)

Das sind keine bösen Erfindungen des Aristoteles, sondern Beobachtungen, die jedermann in der Schöpfung machen kann und zwar weil Gott diese Grundstruktur in seiner Schöpfung verankert hat. Aristoteles hat sie auch nicht erfunden, sondern er hat sie gefunden.

Allerdings müssen wir auch ihre Grenze beachten. Blaise Pascal hat das in einem berühmten Satz seiner Penseés betont:
Die letzte Schlussfolgerung der Vernunft ist, dass es eine Vielzahl von Dingen gibt, die ihr Fassungsvermögen übersteigen. Sie ist nur schwach, wenn sie nicht zu dieser Einsicht gelangt.
Bei dem bekannten Theologen Karl Heim habe ich einmal gelesen, dass die Wirklichkeit Gottes in unserer Welt nur in widersprüchlichen Aussagen formuliert werden kann.

Wir können die Dreieinheit Gottes nicht logisch erklären, halten aber mit der Bibel fest, dass Gott einer ist und dennoch in drei Personen existiert. Wir wissen, dass Gott uns vollständig führt und wir uns dennoch entscheiden können. Die Bibel sagt, dass Jesus ganz Gott und ganz Mensch gleichzeitig war. Sie sagt auch, dass Gott schon weiß, was wir beten werden, bevor wir überhaupt angefangen haben, er aber trotzdem ausdrücklich will, dass wir beten.

Als einen besonders schweren Widerspruch empfinden humanistisch geprägte Zeitgenossen den scheinbaren Unterschied zwischen dem Gott des Alten Testaments und dem des Neuen Testaments. Sie behaupten, im Neuen Testament würde uns ein Gott der Liebe begegnen, während im Alten Testament ein Gott der Rache und Brutalität den Menschen gegenüber stehe. Doch entspricht diese Behauptung wirklich dem biblischen Befund? Es ist wahr, dass Gott ein Gott der Liebe ist (1. Johannes 4,8.16), der die Menschen so sehr liebt, dass er seinen eigenen Sohn für sie hingibt (Johannes 3,16). Dieser Gott ist jedoch zugleich ein heiliger Gott, der die Sünde hasst und den unbußfertigen Sünder straft – und zwar im Alten wie im Neuen Testament.
Und auch im Alten Testament wird Gott als der beschrieben, der sein Volk liebt. (5Mo 7,7f.; 1Kö 10,9; Jer 31,3 …)

Inzwischen haben wir ja auch in der Natur Widersprüche beobachtet, die man eigentlich nicht vereinbaren kann, die aber dennoch vorhanden sind. Das kann uns etwas über die Grenzen der Logik trösten. Ein Beispiel ist das Licht, das sich einerseits als Teilchen verhält und andererseits als Welle, was in der Physik ein großer Unterschied ist.

So ist auch Erwin Schrödingers Katze ein viel zitiertes Paradox von Physik und Philosophie. Sie ist in einem speziell präparierten Kasten nämlich gleichzeitig lebendig und tot. Schrödinger der für seine Gleichung den Nobelpreis bekam, wollte mit diesem Gedankenexperiment klar machen, dass in der Teilchenphysik manche Dinge völlig anders funktionieren, als in unserem Alltag.

Denn mit zu der Katze packte Schrödinger noch ein bisschen radioaktive Substanz, einen Geigerzähler, einen Hammer und ein Fläschchen Blausäure. Diese Höllenmaschine könnte die Katze innerhalb einer Stunde töten. Denn sobald eines der radioaktiven Atome zerfällt, wird der Geigerzähler aktiviert, der wiederum den Hammer auf das Fläschchen fallen lässt. Die Blausäure könnte so entweichen – und die Katze würde schnell daran verenden. Das teuflische Konstrukt könnte die Katze aber ebenso am Leben lassen. Denn der Zerfall von radioaktiven Substanzen geschieht nach Wahrscheinlichkeit. Dass ein radioaktives Teilchen innerhalb einer Stunde zerfällt ist genauso so wahrscheinlich wie der Umstand, dass keines davon zerfällt.

Weil das Schicksal der Katze eben genau von diesem radioaktiven Verhalten abhängt, kann auch dazu keine definitive Aussage getroffen werden.Das ändert sich natürlich sofort, wenn man die Kiste öffnet. Denn in der Alltagswelt gibt es für die Katze kein "und" mehr, sondern nur noch ein Entweder-oder: Die Katze ist entweder tot oder lebendig.

 

1. Es gibt scheinbare Widersprüche durch Augenzeugen, zum Beispiel bei den Auferstehungsberichten in den Evangelien. Man darf dabei aber nicht vergessen: Zeugen, die vom gleichen Geschehen wörtlich dasselbe sagen, sind unglaubwürdig. Wenn ein Betrüger die in der Bibel berichteten Dinge hätte niederschreiben wollen, dann hätte er sich gewiss vor jedem scheinbaren Widerspruch gehütet. Wenn man nun aber die Widersprüche sogar auflösen kann, steigert das die Glaubwürdigkeit der Zeugen noch mehr. So sind die vielen scheinbaren Widersprüchen in der Bibel sogar ein Beweis für die Zuverlässigkeit der biblischen Zeugen.

2. Es gibt scheinbare Widersprüche in geschichtlichen Aussagen. So könnte die Frage aufkommen, ob Josua Jerusalem erobert hätte, denn es wird berichtet, dass er den König von Jerusalem tötete. Aber er hatte ihn in offener Feldschlacht besiegt. Noch zur Richterzeit waren etliche Städte nicht erobert, bis schließlich David die Stadt endgültig eroberte und zu seiner Stadt machte.

3. Es gibt scheinbare Widersprüche, die durch mangelnde Kenntnis der alten Sprachen entstehen. Der Leser einer bestimmten Bibelübersetzung weiß oft nicht, welch großen Bedeutungsumfang einzelne griechische und besonders hebräische Begriffe haben. Dazu kommt noch eine andere Bedeutung der Zeitformen, die man nicht mit unseren vergleichen kann, obwohl manchmal die gleichen lateinischen Grammatik-Begriffe dafür verwenden werden, z.B. Perfekt.

4. Es gibt Widersprüche durch mangelnde Sachkenntnis. Die typische Frage, woher Kain seine Frau nahm, gehört in diese Kategorie. Wenn man die ersten Kapitel der Bibel liest, kann man diese Frage recht leicht beantworten, nämlich aus seiner extrem langlebigen Verwandtschaft.

5. Widersprüche entstehen, wenn man vorher die Einheit der Bibel zerstört und dies mit scheinbaren Indizien stützt, wenn zum Beispiel einmal der Name Jahwe auftaucht und ein wenig später der Begriff Elohim. Im Nu hat man zwei verschiedene Verfasser, nämlich einen Jahwisten und einen Elohisten und erfand schnell noch einen Redaktor, der das Ganze zu den Mosebüchern zusammengefügt hätte. So die Quellenscheidungstheorie, die zunächst zu einer Zerstückelung der Mosebücher führte. Und auf einmal fand man einen Widerspruch zwischen einem sogenannten ersten und einen zweiten Schöpfungsbericht in den ersten zwei Kapiteln der Bibel. Später kam dann Jesaja an die Reihe, denn wenn man die Bibel erst einmal zerstückelt hat, kann man gut Widersprüche behaupten.

6. Es gibt weiterhin Widersprüche zwischen der Bibel und populärwissenschaftlichen Aussagen. Ich sage bewusst nicht zwischen Bibel und Wissenschaft. Hier müssen wir nämlich sorgsam darauf achten, dass die Argumente, die gegen die Bibel vorgebracht werden, oft keine sauberen wissenschaftlichen Erkenntnisse sind, sondern das Ergebnis einer mit diesen Erkenntnissen verbundenen Ideologie.
Ein typisches Beispiel ist der Spott über den „wiederkäuenden Hasen“ in der Bibel.
Wer sich die Mühe macht, die vorgebrachten kritischen Argumente einmal kritisch zu hinterfragen, kommt zu erstaunlichen Ergebnissen. Doch diese sind entweder in der Öffentlichkeit gar nicht bekannt oder werden aus ideologischen Gründen bewusst verschwiegen. Die Studiengemeinschaft Wort und Wissen arbeitet in diesem Zusammenhang vorbildlich.

7. Schließlich gibt es formale Widersprüche, auf die wir beim Bibellesen stoßen, etwa bei unterschiedlichen Zahlenangaben für das gleiche Ereignis. Oder wenn Matthäus und Markus schreiben, dass die beiden Verbrecher, die mit Jesus gekreuzigt worden waren, ihn lästerten; Lukas dagegen schreibt, dass nur einer der beiden Kriminellen Jesus schmähte. Doch wenn man sich ein bisschen in die Geschichte hineindenkt, lässt sich eine ganz einfache Erklärung für diesen scheinbaren Widerspruch finden: Die Kriminellen hingen zusammen mit Jesus insgesamt sechs Stunden am Kreuz. In den ersten Stunden werden sie wie die Pharisäer und Schriftgelehrten Jesus verspottet haben. Bald aber bemerkten sie die Geduld und Würde, mit der Christus sein Leiden ertrug. Der eine der beiden Verbrecher wird dadurch so angerührt, dass er in seiner Todesstunde Reue für sein bisheriges Leben empfindet und Jesus um Gnade bittet.

 

Wie sollen wir darauf reagieren, wenn wir auf einen Widerspruch stoßen oder durch eine Frage damit konfrontiert werden?[2] Ich will zunächst vier grundlegende Dinge sagen und als zweites sieben methodische Vorschläge machen.

4.1 Grundlegende Einstellungen

1. Solche Fragen dürfen wir nicht unterschlagen. Sie könnten nämlich unser Vertrauen in die Bibel untergraben. Wir dürfen dabei aber nicht dem Bibeltext von vornherein Ungereimtheiten unterstellen, sondern gehen von der Einheitlichkeit und Verständlichkeit des Textes aus.

2. Hier geht es um einen geistlichen Kampf und eine geistige Arbeit. Deshalb soll unser Nachdenken von Gebet unterstützt sein.

3. Wir müssen ehrlich mit den Problemtexten umgehen. Es kann sein, dass uns momentan die nötige Information fehlt, das Problem zu lösen.
Zum Beispiel gibt es bis heute noch keine schlüssige Erklärung für die widersprüchlichen Zeitangaben für die Kreuzigung des Herrn. So schreibt Markus in 15,25, dass der Herr um 9 Uhr (3. Stunde) gekreuzigt wurde. Johannes 19,14 berichtet aber, dass der Herr um 12 Uhr mittags (6. Stunde) noch vor Pilatus stand. Der Hinweis auf die angeblich römische Zeit passt hier überhaupt nicht, einmal weil es nicht nachweisbar ist, dass die Römer damals ihren Tag von Mitternacht an zählten. Das ist eine pure Erfindung. Und zweitens müsste Jesus in Johannes 4,6 dann schon um sechs Uhr früh sich nach einer langen Reise ermüdet an den Brunnen gesetzt haben. Es ist aber sehr unwahrscheinlich, dass er mit seinen Jüngern in der Nacht unterwegs war.

4. Es ist nicht notwendig, jeden so genannten Widerspruch in der Bibel zu erklären, um an die Irrtumslosigkeit der Schrift zu glauben.

4.2 Methodische Prinzipien 

1. Versuche beide betroffenen Texte unabhängig voneinander zu verstehen. Deute ihre Aussagen im jeweiligen Kontext. Was will der Verfasser an der einen Stelle betonen und was an der anderen.

a) Vergleiche verschiedene Übersetzungen. Manche Widersprüche verschwinden, wenn man den eigentlichen Wortlaut erkennt.

b) Verschaffe dir Sicherheit, dass du den Begriff richtig verstanden hast. Zum Beispiel umfasst das Wort Reue (das ist ein Nifal von nacham) im Hebräischen zwei Aspekte: gefühlsmäßig einmal die Trauer, die jemand empfindet, wenn etwas aufgrund von menschlichem Versagen misslingt oder auch eine Übertragung menschlicher Emotionen auf Gott und zum zweiten willensmäßig, indem er etwas unternimmt, um die Situation zu ändern. Es ist jedenfalls sicher: Gott lässt sich nicht wie ein Mensch durch Gefühlsschwankungen umstimmen.

c) Achte auf die literarische Form. Handelt es sich hier um einen poetischen Text, ein Sprichwort, das auf unterschiedliche Situationen angewandt werden kann, zum Beispiel Spr 26,45 oder ähnliches?

Gib dem Toren keine Antwort, die seiner Dummheit entspricht, / sonst wirst du ihm gleich. 5 Gib dem Dummkopf eine Antwort, die seine Torheit verdient, / sonst hält er sich für klug.

2. Stell fest, worin genau der Widerspruch besteht und überlege dessen Tragweite.

3. Überlege, ob die Unterschiede durch den Zusammenhang oder durch die Situation bedingt sind und ob sie sich durch die fortschreitende Offenbarung der Bibel erklären lassen. Zum Beispiel unterscheiden sich einige Gesetze in der Wüstenwanderung Israels von denen die später für ihre Sesshaftigkeit verkündet wurden.

4. Historische Texte lesen wir nicht nur als geschichtlichen Bericht (vielleicht sogar als Protokoll), sondern auch als Erzählung. Manches für einen historischen Bericht unwichtige Detail fügt der Entwicklung einer Erzählung aber etwas Wichtiges hinzu.

So enthält der Text von 1Mo 2,5 keine widersprüchliche Details über die Entstehung der Pflanzen, sondern erklärt, weshalb es nach Erschaffung der Pflanzenwelt noch kein Gesträuch oder Kraut gab:
„Als Jahwe, Gott, Himmel und Erde machte, gab es zunächst weder Sträucher noch Feldpflanzen auf dem Erdboden, denn Jahwe, Gott, hatte es noch nicht regnen lassen.“
Denn die waren auf Regen und Bebauung angewiesen. Und das wiederum führt notwendig zu der Anweisung, den Garten zu bebauen und zu bewahren.

5. Bei abweichenden Zahlenangaben muss man manchmal überlegen, ob hier vielleicht ein Kopierfehler vorliegen kann. Nach 2Kö 24,8 zum Beispiel war Jojachin 18 Jahre alt, als er König wurde, nach 2Chr 36,9 aber nur acht. Wir wissen nicht genau, wann das alphanumerische System beim Abschreiben der alttestamentlichen Texte eingeführt wurde. So kann ein Zahlzeichen beim Kopieren leicht verwischt werden. Wir glauben, dass Gott die Verfasser inspirierte, nicht aber die Abschreiber.

6. Parallele aber voneinander abweichende Erzählungen versuchen wir zu harmonisieren. Zwei oder mehr scheinbar widersprüchliche Aussagen können sich durchaus als historisch richtig erweisen. Es ist wie bei einem Krimi. Aus widersprüchlichen Aussagen verschiedener Zeugen formt sich das Gesamtbild.

7. Wenn wir mehr als eine Lösung gefunden haben, müssen wir entscheiden, welche die wahrscheinlichste ist. Hier könnte man sich folgende Fragen stellen: a) Kann man weitere Beispiele in der Bibel finden? b) Welche Lösung ist die einfachste? c) Welche Erklärung passt am besten in den biblischen Zusammenhang.

Das Referat wurde zuerst am 21.9.2014 in der Seminarwoche Leipzig gehalten.

---------------Fußnoten ---------------

[1] Nach Wolfgang Nestvogel in „Bibel und Gemeinde“ 2/2003, auch die folgenden Logikformulierungen.

[2] Hier habe ich mich stark an Dr. Richard Schulz orientiert in „Unfehlbarkeit und Irrtumslosigkeit der Bibel“.

 

Daniel Fischer
Auch ich finde deinen Beitrag sehr wertvoll. 2 Themen: Gesetz und Gnade bzw. Werke und Glaube ist scheinbar auch widersprüchlich und nicht so leicht in Einklang zu bringen, finde ich. Das zweite ist das Thema Dreieinigkeit/ Gottheit Jesu. All deine guten Vorschläge (scheinbare) Widersprüche zu lösen, führen für mich dazu, dass diese Lehre grundsätzlich verworfen werden muss. Für mich gilt noch ein wichtiger Ansatz: je grundlegender eine Frage ist, um so klarer ist die Antwort in der Bibel. >200 Bibelstellen führen zu einer logischen Gleichung: (der eine, wahre, höchste) Gott = Jahwe = der Vater.
Wenige Stellen sagen (scheinbar) etwas Widersprüchliches. Die sind jedoch meist ohne Probleme dem o.g. Grundsatz unterzuordnen. Das führt hier aber zu weit. (Siehe trinitaet.com) Herzliche Grüße

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Anastasia Harder
Ein sehr wertvoller Beitrag, der genau in meine Situation spricht! Danke vielmals!
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