Geschrieben wurden die Listen von den Aposteln Paulus und Petrus unabhängig voneinander. Sie stehen in Briefen, die innerhalb von fünf Jahren geschrieben wurden. Den ersten Korintherbrief schrieb Paulus um das Jahr 55 n.Chr. von Ephesus aus. Ein reichliches Jahr später schrieb er seinen Brief an die Christen in Rom wahrscheinlich von Korinth aus. Im Jahr 59 n.Chr. schrieb dann Petrus seinen ersten Brief von Rom aus an die Gemeinden in den nördlichen Landschaften der heutigen Türkei. Und als Paulus im Jahr 60 als Gefangener in Rom eintraf, schrieb er seinen Brief nach Ephesus und die Gemeinden im Umkreis. 

 

 1      Die Umstände der Empfänger

Wenn man die Situation der Gemeinden und ihr Verhältnis zum jeweiligen Apostel etwas bedenkt, lassen sich schon die erste Entdeckungen an den Gabenlisten machen. Auch die Umrahmungen der Listen zeigen einige Unterschiede.

1.1    Die Gemeinde in Korinth

Paulus hatte die Gemeinde gegründet, erfuhr aber später, dass es dort Rivalitäten, Streit, Stolz und Wichtigtuerei gab. Vielleicht betonte Paulus deshalb, dass die verschiedenen Gaben, Dienste und Kräfte alle von demselben Geist, Herrn und Gott stammen. Aber welche Gabe der Einzelne auch empfangen hat, jede dient zum Nutzen der Gemeinde (1Kor 12,4-11). Im zweiten Abschnitt (1Kor12,27-30) betont Paulus einerseits den Zusammenhang der Gemeinde (Leib und Glieder), andererseits aber auch, dass nicht alle dieselben Gaben haben, sondern jeder seine eigene.

1.2    Die Gemeinde in Rom

Paulus hatte die Gemeinde noch nicht besucht, kannte nur einzelne Gläubige. Er wollte die Geschwister dort für eine Missionsarbeit in Spanien gewinnen und erklärte ihnen sorgfältig, was er lehrte und welche Konsequenzen das für die Praxis ihres Zusammenlebens hat. Möglicherweise gab es zu dieser Zeit noch gewisse Schwierigkeiten in der Gemeinde, weil der vorige römische Kaiser alle Juden aus der Stadt verbannt hatte. Dazu gehörten auch die, welche die Gemeinde in Rom gegründet hatten. Als diese Juden dann nach dem Tod des Kaisers wieder nach Rom zurückkommen durften, sahen sie, dass die Gemeinde der nichtjüdischen Gläubigen inzwischen eine gewisse Selbständigkeit entwickelt hatte. Einzelne aus der einen Gruppe könnten überheblich der anderen gegenüber reagiert haben. So gab es wohl Spannungen zwischen jüdischen und nichtjüdischen Gläubigen (siehe Röm 9-11).

In Bezug auf die Gaben betont der Apostel: Denk nicht höher von dir, als dir zukommt, sondern schätze dich selbst richtig ein! Maßstab dafür ist der Glaube, den Gott jedem von uns zugemessen hat (Röm 12,3-8). Also nicht die Abstammung – Jude oder Nichtjude – zählt, sondern der Glaube. Deshalb betont Paulus auch hier den einen Leib in Christus, vom dem alle Glieder sind.

1.3    Gemeinden im Umkreis von Kleinasien

Der allgemeine Rundbrief des Petrus an Gemeinden in Pontus, Galatien, Kappadozien, der Asia und Bithynien hat eher die allgemeine Lage im Blick. Petrus will die Gläubigen in der Erkenntnis ihres Heils befestigen und ihnen die Größe ihrer gegenwärtigen und zukünftigen Rettung zeigen, damit sie die Kraft haben, bei allen Anfeindungen und Bedrohungen ihrem Herrn treu zu bleiben. Deshalb betont er, dass jeder von ihnen eine Gnadengabe empfangen hat mit der sie sich gegenseitig dienen sollen (1Pt 4,10-11).

1.4    Gemeinden im Umkreis von Ephesus

Auch der sogenannte Epheserbrief („in Ephesus“ fehlt in wichtigen Handschriften) war ein Rundbrief an die Gemeinden, die von Ephesus aus in der Provinz Asia entstanden sind. Unter ihnen hatte Paulus drei Jahre gearbeitet. Er betont ebenso wie Petrus, dass jeder seinen Anteil an der Gnade erhalten hat (Eph 4,7) und dass die Gabenträger die anderen zum Dienst ausrüsten sollen, damit der Leib des Christus aufgebaut wird (4,11-12).

 

2      Beobachtungen

2.1    Was für alle Gemeinden gilt

Jeder wiedergeborene Gläubige hat von Gott, dem Herrn, dem Geist (wenigstens) eine Gabe erhalten. Wann das geschah, wird nicht gesagt (möglicherweise schon bei der Geburt, bei der Wiedergeburt oder wenn es notwendig wurde). Damit sollen sie einander dienen, was dann auch Auswirkungen für Menschen außerhalb der Gemeinde hat. Die Gaben sind von großer Vielfalt und müssen (deshalb) gut verwaltet werden. Dazu gehört auch, dass die Gabenträger ihre Gabe nicht nur ausüben, sondern auch „ausgerenkte Heilige“ zum ihrem Dienst „einrenken“ bzw. ausrüsten (Eph 4,12).

Petrus fasst in seinem Rundbrief alle Gaben in zwei Rubriken zusammen: Redegaben und diakonische Gaben (1Pt 4,10-11). Damit sind alle Gaben in den anderen Listen erfasst, aber nicht unbedingt darauf beschränkt.

Bedingung für jeden Träger einer Redegabe: Gott muss durch ihn sprechen können. Für den Gabenträger einer Hilfeleistung: Er muss es in der Kraft tun, die Gott ihm schenkt. Und für alle Gabenträger gilt: In jedem Fall muss Gott durch alles Reden und Tun geehrt werden.

2.2    Was in einzelnen Gemeinden erkennbar wird

Apostel erwähnt Paulus nur in den Briefen an Gemeinden, die er selbst aufgebaut hat (Korinth und Ephesus). Vielleicht könnte das darauf hinweisen, dass es auch heute noch Apostel (Gesandte) im Sinn von Missionaren (dasselbe Wort auf Lateinisch) geben könnte, also ausgesandte Gründer neuer Gemeinden.

Die Prophetengabe wird in allen Gemeindebriefen erwähnt (bei Petrus vielleicht indirekt). Sie war offenbar in der Anfangszeit besonders wichtig, als die Gemeinden nur einzelne Schriften des Neuen Testaments besaßen. Prophezeien (weissagen) als Reden im Auftrag Gottes sollte auch heute noch geschehen.

Übernatürliche und auffällige Gaben werden direkt nur im ersten Korintherbrief aufgelistet. In dieser Liste fällt auf, dass es keine Ermahnung gab, diese Gaben auch zu betätigen.  Die Korinther strebten von selbst danach und mussten zur Ordnung im Gebrauch ermahnt werden.

In den Rundbriefen nennen die Apostel nur die wesentlichen Gaben für alle Gemeinden. Petrus: Gaben des Redens und Dienens. Paulus: Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrer.

In seinem Brief an die Gemeinde in Rom betont Paulus vor allem die diakonischen Gaben: nach der Prophetie gleich die Diakonie und dann besonders Lehren, Seelsorge üben, Bedürftige unterstützen, Verantwortung übernehmen, sich um Notleidende kümmern. Sie haben diese Gaben und sollen sie einsetzen: uneigennützig, fleißig, mit fröhlichem Herzen.

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